Auf den Spuren der Beduinen von Wadi Rum
Abenteuer in Jordanien
Video von Adrien JACTA von Pexels
Ein Labyrinth aus prächtigen Sandsteinformationen erstreckt sich, so weit das Auge reicht. Die Sonne lässt die steilen, roten Felswände strahlen. Der Wüstenwind flüstert Geschichten aus vergangenen Zeiten – im Wadi Rum ist Jordanien “ganz großes Kino”.
“Sechsundzwanzig Mal habe ich Matt Damon gefahren.” Während Raed Suleiman den Jeep über eine schnurgerade sandige Piste steuert, in Richtung einer der wohl großartigsten Felslandschaften dieser Erde, tätschelt er lachend den Beifahrersitz. “Genau da, wo du jetzt sitzt.” Meinem Reisebegleiter Paul kommt diese Ehre zuteil. Ich sitze mit zwei Mitreisenden auf der Rückbank.
Raed ist einer dieser Menschen, die einen schnell in den Bann ziehen. Ich weiß nicht, wie oft er sein Wissen und seine Anekdoten schon erzählt hat, es ist ihm nicht anzumerken. Alles sprudelt herrlich frisch und lebendig aus ihm heraus. Vor ein paar Jahren arbeitete Raed als ‘Fixer’, eine Art Allround-Talent für den Hollywood-Film ‘Der Marsianer’, in dem Matt Damon die Hauptrolle spielte.
WELCOME TO WADI RUM
Wir rumpeln weiter über die Wüstenpiste. Vor einer Felswand können wir ein paar Punkte ausmachen. Minuten später fügen sich die Punkte zu unserer Karawane zusammen: Wüstenführer Samer Abudagga, die Beduinen Abu Yousef, Ataallah und Nayef, fünf ausgewachsene Kamele und das vier Wochen alte Kamelbaby Coco. Vier Tage Wüstenwanderung liegen vor uns. Zwischen felsigen Inseln wollen wir unsere Zelte aufschlagen und Einblicke in das Leben der Beduinen gewinnen.
Die erste Tagesetappe hat es schon in sich: Sechs Stunden latschen wir durch den Sand. Wer müde ist, kann sich auf einem Kamelrücken durchschütteln lassen. Unsere Karawane bewegt sich auf der historischen Handelsroute, die über tausend Jahre lang Jerusalem mit Mekka verband.
72% von Jordaniens Landfläche besteht aus Wüste. Davon nimmt Wadi Rum ein Areal von etwa 100 km Länge und 60 km Breite ein. Unmengen von Eisen ist hier oxidiert und hinterließ den besonderen, roten Farbton des Sandes. So muss der Mars aussehen. Oder andere Wüstenplaneten.
Das dachten sich auch viele Hollywood-Produzenten und scheuchten ihre Schauspieler hier durch Schluchten, Sandstein und Staub. Sie drehten ‘Prometheus’ (2012), ‘Der Marsianer’ (2015), ‘Star Wars Rogue One’ (2016) und den siebenfachen Oscargewinner ‘Lawrence von Arabien’ (1962).
Allerdings werden hier nicht nur Filme über den Mars gedreht. Von 1916 bis 1918 war das Wadi Rum teilweise Kriegsschauplatz der Arabischen Revolte. Die Araber kämpften im Ersten Weltkrieg für die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Ihr Kampf wurde durch die Versprechungen des britischen Geheimagenten Thomas Edward Lawrence angefacht, welcher als Verbindungsmann zu den Aufständischen entsandt wurde. Es kam jedoch nie zur erhofften Unabhängigkeit. Denn trotz des Versprechens, dem Scherifen die Herrschaft über ganz Arabien zu übergeben, teilten sich die Siegermächte Frankreich und England im geheimen Sykes-Picot-Abkommen die arabische Welt unter sich auf. Die arabischen Führer fühlten sich zu Recht verraten. Viele der heutigen Probleme im Nahen Osten wurzeln im gebrochenen Versprechen von T. E. Lawrence, der berühmt wurde als ‘Lawrence von Arabien’.
Viele der heutigen Probleme im Nahen Osten wurzeln im gebrochenen Versprechen von T. E. Lawrence
Viele Kulturen bevölkerten seit prähistorischen Zeiten das Wadi Rum. Mehr als 4.000 Felszeichnungen zeugen vom Alltag der Menschen, die vor etwa elftausend Jahren hier lebten. 2011 wurde die Felsenwüste in die Liste der UNESCO Weltkulturerben aufgenommen.
Die Wände bestehen größtenteils aus Sandstein und Granit. Wadi Rum liegt etwa 800 Meter über dem Meeresspiegel, seine höchste Erhebung ist der Jabal Umm ad Dami mit 1.854 Metern.
SIQ VON BURRA
Heute will es nicht wirklich warm werden. Wolken vertreiben das Himmelsblau, der Wind wird stärker. Nach Durchqueren einer engen Schlucht mit senkrechten Felswänden legen wir im Schatten einer überhängenden Klippe unsere Mittagspause ein. Wir klauben spärliche Äste für ein Feuer zusammen. Tee wird aufgesetzt. Herrlich süß, mit Thymian und nicht zu heiß, spendet er wohlige Energie. Raed und Abu Yousef zaubern aus Huhn, Gemüse und Bulgur das traditionelle Gericht Maftool.
Nach der Stärkung setzen wir unsere Wanderung durch das Wadi al Hesmeh, der ‘Ebene ohne Wasser’, fort. Der Sand ist zum Glück nicht zu weich. Ich sinke zwar ein, aber nicht so tief, dass ich schnell ermüde. Nach drei Stunden Marsch erreichen wir unseren Nachtlagerplatz: Siq of Burra. Seit alters her beliebt als Zeltplatz bei arabischen Karawanen. Einst gab der Fels hier wertvolles Wasser frei. Jahrtausende lang staute man es auf. Heute gibt es hier kein Wasser mehr, nur noch einen Namen und eine Erinnerung: ‘Sad al roumeia’, Romeia-Staudamm.
Unnachlässig erzählend, singend, gestikulierend bereitet Raed das Abendessen zu. Abu Yousef geht ihm zur Hand. Es wird dunkel. Ich geselle mich zu den beiden. Arabisch-Lektion. Raed weist auf das langsam verlöschende Feuer: Hariq.
Zehn Minuten später brechen meine Mitreisenden und ich das traditionelle jordanische Brot namens Shrak und löffeln damit das Nationalgericht Mansaf, Lamm in Joghurtsauce. Köstlich.
Abu Yousef schaut in den Himmel und deutet in Richtung Horizont. „Haboob“, sagt er. Ich sehe nichts, was auf einen Sandsturm hindeutet. Beduinen lesen den Himmel und den Sand. Vielleicht hat er Recht. Schweigend sitzen wir nebeneinander und schauen ins All. Es ist friedlich. Wenn man mit den Beduinen zusammen ist, spürt man das wahre Jordanien. Mit diesem Gedanken ziehe ich mir die Decke über den Kopf.
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EIN BEDUINE, DER DIE HERZEN IM STURM EROBERT
“Oha! In Petra fällt Schnee”, verkündet Raed mit Blick auf sein Handy. Obwohl der weltbekannte Felsenpalast nur etwa 50 Kilometer entfernt liegt, kann es dort bis zu 20 Grad kälter sein. Auch bei uns verschlechtert sich das Wetter. “Wir haben eine Sturmwarnung”, seufzt Samer und sagt die kniffelige Wanderung für den heutigen Tag ab. “Haboob”, meine ich, den Zeigefinger erhebend, wie ein Musterschüler. “Haha. Kein Problem”, erwidert Raed, “Abu Yousef lädt uns in sein Wüstencamp ein.” Ich schaue Abu Yousef an, sage freudig “Wasalna!” und er retourniert mir sein einzigartiges Filmstar-Lächeln.
Erschöpft von Hitze, Sand und Staub hocke ich auf einem bunt gemusterten Teppich im Wüstenlager von Abu Yousef. Wörtlich bedeutet sein Name “Vater von Yousef”. Männliche Beduinen nehmen, sobald sie Vater eines Sohnes werden, dessen Namen an. Und der älteste Sohn von Abu Yousef heißt Yousef. Zwei Frauen gebaren ihm zwölf weitere Kinder im Alter zwischen fünf und vierundzwanzig Jahren.
Abu Yousef zeigt mir ein in Leder gebundenes Buch. Darin wird die Geschichte seiner Familie aufgezeichnet, insgesamt sieben Generationen. Ich kann es noch nicht ganz glauben. Dies, die Wüste, ist sein Zuhause. Abu Yousef, der Berlin-Kreuzberg so gut kennt wie ich, ist in dieser wilden, felsigen Steppe zu Hause. Er kennt siebzig Gipfel mit Namen, von denen er die meisten als Junge barfuß bestiegen hat. Er schätzt die Traditionen und Werte der Beduinen sehr. Er scheint umsichtig zu sein. Ruhig und edel. Dieser Mann beeindruckt uns alle.
Abu Yousef kniet nieder und entzündet ein Feuer und setzt einen geschwärzten Kessel auf. Der Duft von Kaffee und Kardamom erfüllt die Wüstenluft.
ÜBER EINE FELSENBRÜCKE MUSST DU GEHEN
Festhalten. Hochziehen. Balancieren. Gebückt Felsüberhänge unterqueren. Der Sandstein hat zwar viel Reibung, doch der Fußweg hoch zur Burdah Felsenbrücke fordert uns Gipfelstürmern einiges an Kletterei ab. An schwierigen Schlüsselstellen streckt uns Samer, der vorauseilende mordsfitte Triathlet, seine helfenden Hände entgegen. Es braucht schon Überwindung, aber ich stelle meine nicht vorhandene Schwindelfreiheit auf die Probe. “Die Brücke ist stabil”, sagt Samer und mit einer seitlichen Kopfbewegung in Richtung Steinbogen gibt er mir das Startzeichen. “Aber komm’ nicht auf die Idee in der Mitte rumzuspringen.” Ich gehorche. Am anderen Ende der Brücke fühle ich ein wenig Stolz in mir aufsteigen.
Der Fußweg hinauf zur Burdah-Felsbrücke fordert uns einiges ab.
Nachmittags lädt uns Abu Yousef zum Tee in sein Backsteinhaus in Wadi Rum Village ein. Dort angekommen, rennt seine jüngste Tochter Yaqueen zu meinen Mitreisenden Michelle und Jessica, umarmt sie, zieht ihre Arme in alle Richtungen, um ihnen Spielzeug zu zeigen, ihre jüngeren Cousins und einen gekachelten Bau mit Toilette und Dusche – ein Luxus in dieser Gegend und ein Beweis dafür, dass Abu Yousef gut für seine Familie sorgt.
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