Canyoning, Wandern & Gletschertrekking
Perlen des Wallis
Magazine → Ausgabe #21 →
Tolkiens ‘Herr der Ringe’, eine private Papstaudienz und der mächtigste Gletscher der Alpen – wie hängt das alles zusammen? Davon erzählt der Bericht unseres Lead Explorers Malte Clavin. In Saas-Fee und am Aletsch erkundete er eine Via Ferrata, Hängebrücken, Naturwanderungen, Monster-Roller, köstliche einheimische Hüttenküche und den abenteuerlichen Höhepunkt einer Gletscherwanderung – alles eingebettet in die herzliche Gastfreundschaft der Schweizer.
Eine Leiter? Ja, es ist eine Leiter, auf der ich balanciere, aber ich halte mich nicht an der Leiter fest. Denn diese überspannt eine Schlucht nahe Saas-Fee. Durch die Sprossen blicke ich viele Meter auf den unter mir rauschenden Wildbach. Ich fühle mich sicher. Denn ich trage einen Harnisch, der mit Seilen und zwei Karabinerhaken mit einem Stahlseil entlang der Leiter verbunden ist. Willkommen im Klettersteig Gorge Alpine!
Die nächsten zwei Stunden hangele ich mich mit acht Gefährten und zwei Führern immer wieder von einer Schluchtseite auf die andere manchmal nur auf wenige Zentimeter breiten Holzplanken, manchmal über Hängebrücken. Zweimal gleite ich über etwas längere Strecken allein am Seil ein Gefälle herab. Mensch wird Seilbahn! Der spannendste Abschnitt führt, am Stahlsein schwebend, in eine Höhle hinein. Eine lange Leiter führt wieder hinaus – durch eine Öffnung an der Höhlendecke. Danach einmal mehr ein Leitersteg, diesmal durch luftige Höhen an beeindruckenden Nadelbäumen vorbei. Abrupt endet die horizontale Leiter im Nirgendwo. Und jetzt!? Einmal Karabinerhaken umhängen – und schon befinde ich mich in der Vertikalen und schwebe etwa 20 Meter hinunter auf festen Boden. Schon vorbei? Schade, ich hätte noch Stunden weitermachen können. Aber der Tag hat ja erst angefangen.
In Saas Grund stärken wir uns mit deftiger Hausmannskost, bevor der Sessellift uns zum Ausgangspunkt der Wanderung auf dem Erlebnisweg Saas-Almagell bringt. Nach einem beinahe vertikalen Aufstieg über Eisentreppen, die an den Bergflanken kleben, folgen zwei spektakuläre Hängebrücken mit einer Länge von 45m und 60m. Auf Geheiß unseres Führers betreten wir diese jeweils nur zu zweit, um den Brücken nicht zu viel Gewicht und Schwankungen zuzumuten. Im Sommer säumen zahlreiche Alpenblumen den Weg, auch dürfte dann der Blick auf die einzigartige Kulisse der Mischabelkette mit Täschhorn, Dom und Lenzspitze klarer sein als jetzt. Nach etwas über zwei Stunden haben wir fast 400 Höhenmeter hinter uns gebracht und freuen uns auf unser Ziel: die gemütliche Almagellerhütte, eingebettet in schönste Gebirgswelt, bewirtet von Urs Anthamatten. Wir stärken uns mit Urs‘ heißer Suppe, schmackhafter Hausmannskost und fallen früh ins Bett.
Hinunter mit einem Monster
“Wenn du am Morgen aufstehst und das Wetter schön ist, dann färbt die Sonne die Berggipfel ein. Ein wunderbarer Augenblick. Ich bin dann bereits am arbeiten und wenn die anderen aufstehen sind schon zwei Kuchen im Ofen.“, so Urs Anthamatten. Nach der morgendlichen Stärkung rüsten wir uns für den vor uns liegenden Marsch. Urs sagt: „Ich habe ein Ziel, bei mir müssen die Gäste zufrieden sein, dann kann ich selbst zufrieden sein. Dann war jeder Tag ein guter Tag.“ Gestern war so ein guter Tag. Und es sieht sehr danach aus, als würden wir heute mit einem weiteren guten Tag beschenkt. So herzlich ist der Abschied von Urs und seiner Hütte.
Wir sind die ersten auf dem Weg. Die Vorderen scheuchen einen Alpensteinbock auf. Der Weg eröffnet immer wieder grandiose Ausblicke auf mehr als zehn über 4.000 Meter hohe Gipfel. Der Abschnitt um „Triftgrätji“ folgt der Alpenblumen-Promenade, welche rund 240 verschiedene Blumenarten inklusive Edelweiß und Enzian präsentiert. Jetzt leider nur ein Bruchteil davon, dafür umso mehr in deren Blütezeit. Unberührte Natur, unbeschreibliche Ruhe und schöne Ausblicke über das Tal in Richtung Stalden belohnen uns für die aushaltbaren Strapazen. Unsere Wanderung endet an der Station der Gondelbahn Kreuzboden, wo sich auch ein Bergsee befindet.
Nach dem Lunch wartet eine ganz besondere Alternative zum Hinunter mit der Gondelbahn auf uns: Der ‚Monster Scooter‘! Ein manueller Roller mit dicken Profilreifen! Den Spaß kann man sich doch nicht entgehen lassen! Während unserer Rucksäcke in der Gondel hinunter reisen, düsen wir 11 Kilometer und etwa 1.000 Höhenmeter hinunter nach Saas Grund – ohne auch nur ein einziges Mal die Füße zum Anstoßen benutzen zu müssen.
Seine Bitte um göttlichen Beistand für Gletscher-wachstum wurde erhört
Auf dem Rücken des Alpen-Giganten
Mittlerweile sind wir in Visp gelandet, Ausgangspunkt zu einem weiteren Höhepunkt, von dem wir noch nichts ahnen sollten. Mit der Gondelbahn geht es hoch zur Fiescheralp auf 2.212 Meter. Nach weiteren 90 Minuten Fußmarsch entlang dem Oberen Tälli und durch den ein Kilometer langen Tälligrattunnel erreichen wir die Gletscherhütte auf 2.363 Meter. Es schneit leicht. Herrlich!
Eine Gruppe verlässt gerade die Gletscherhütte, um den Aletschgletscher zu erkunden. Deren Führer fällt mir sofort auf. Was für ein spannendes, viele Geschichten erzählendes Gesicht, vor allem seine stahlblauen Augen! Auf meine Bitte hin lässt er sich portraitieren. Später erfahre ich: Das ist Herbert Volken, ehemaliger Präfekt und damit ranghöchster Politiker des Wallis. Über ihn existieren viele Anekdoten. Hier eine wahre.
Vor etwa 300 Jahren wuchs das Eis im Wallis, verursachte Überschwemmungen und kostete Menschenleben. Damals erlaubte die Kirche ein Gelübde, damit die Gletscher schrumpfen. 2009 war Volken der Ansicht, dass man das Gebet umstellen müsse, damit die Gletscher wieder wachsen. Er reist nach Rom zu einer Privataudienz beim damaligen Papst Benedikt. Seine Bitte um göttlichen Beistand für Gletscherwachstum wurde erhört. Seitdem betet man im Wallis und darüber hinaus “andersrum”.
Nach der Mittagspause in der Gletscherhütte rüsten wir uns für eine Begehung des Aletschgletschers. Erst als wir dem Ungetüm aus Eis und Schnee näher kommen, begreife ich, mit welchem Giganten wir es zu tun haben.
Der Große Aletschgletscher bildet das Herzstück des UNESCO Welterbes „Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch“ und ist ein Eisstrom der Superlative: Er ist der längste (20 km), der größte (81,7 km), der dickste (bis 900 m) und der mächtigste (ca. 10 Milliarden Tonnen) Gletscher der Alpen! Mit 80 bis 200 Meter pro Jahr fließt er langsam ins Tal. Weil das Eis an den Seiten und am Grund durch den Reibungswiderstand langsamer fließt, entstehen Spannungen, die tiefe Spalten aufreißen.
Nach etwa 20 Minuten Fußweg gelangen wir an die Kante des Eistitanen
Wenige Minuten später bewegen sich zwei Menschenketten raupenartig auf dem Aletsch. Es hat den Anschein als kämen wir kaum voran, die gegenüberliegende Bergkette scheint nicht näher zu kommen. Kein Wunder, denn der Gletscher ist hier fast zwei Kilometer breit. Neben uns tun sich tiefe, nach unten hin immer dunkelblauer werdende Eisspalten auf. Stimmen verklingen, alles staunt und wundert sich. Lautlos.
“Der Rollibock. Gott bewahre!”
Steinschlag oder Rollibock?
Hoch aufs Eggishorn
Im Sonnenschein verlassen wir die Gletscherhütte. Der Wanderweg steigt an, Schnee bedeckt den Boden. Immer wieder werden wir mit herrlichen Ausblicken auf den Aletschgletscher belohnt. Für einen Blick auf das Matterhorn oder Mont Blanc reicht es heute nicht und niemand beschwert sich. Die zunehmender Höhe erlaubt uns nun auch weite Blicke in den Osten hinein, auf grandiose Bergketten. Nach einem letzten, etwas steileren Stück gelangen wir zur Gondelstation Bettmergrat. Hier verweilen wir, genießen ein letztes Mal den grandiosen Ausblick auf den Aletschtitanen und das Eggishorn.
Die Legende vom “Rollibock”: Er hatte die Form einer riesigen Ziege mit langen Hörnern und feurigen Augen
Johann Siegen schrieb 1921 in seinem Gletschermärchen: „Wer kennt das geheimnisvolle Leben dieser Riesen, die tot sind und doch leben, die stille stehen und doch vor- und rückwärts gehen, die leblos daliegen und doch immer anders sich gestalten, die schweigsam sind und doch mit Donnerstimme rufen […] ?”
Der Blick auf mächtige, fast unvergänglich erscheinende Gletscher, das macht empfindsame Reisende demütig. Eine Frage drängt sich auf: Können diese Berge jemals jemanden gehören? Oder sind sie Teil eines gemeinsamen Erbes, das es zu schützen und weiterzugeben gilt? Wer sich für Letzteres entscheidet, sollte sich eine weitere zentrale Frage stellen: Tragen meine persönlichen Handlungen zur Förderung des Erbes bei?
Entdecke Wallis
Du hast die Wahl
Ob du nun Sport treiben, in der Natur wandern, auf die Piste gehen, Rad fahren, Mountainbiken, dich kulinarisch oder mit Wellness verwöhnen lassen oder einfach nur Inspiration für deinen nächsten Ausflug in die Berge suchst, das Wallis bietet eine riesige Spielwiese an Aktivitäten, die du zu zweit, mit Freunden, alleine oder mit der Familie geniessen kannst.
Ⅰ