Die Köhler von Västmanland
Kolarbyn Öko-Lodge
Mittelschweden ist ein Paradies für Naturliebhaber. Weite Wälder, lodernde Feuer, Schwimmen in Seen, Leben auf dem Bauernhof und bewegte Geschichte. Die Provinz Västmanland solltest du dir vormerken für deine nächste Reise. Wir lassen uns ein auf ein Abenteuer in diesem herrlich entspannten Stück von Schweden.
Kein Strom, kein fließendes Wasser. Aber fließend Bachwasser. In der Kolarbyn Eco-Lodge kannst du erleben, wie man vor hundert Jahren gelebt hat. Wir befinden uns im Süden der mittelschwedischen Provinz Västmanlands län, eineinhalb Autostunden von Hauptstadt Stockholm entfernt. Kolarbyn liegt versteckt in ausgedehnten Wäldern. Nadel- und Laubbäume wiegen sich sanft im Wind. Beerensträucher bedecken den Waldboden. Jeden Moment erwartest du, dass ein Gnom oder eine Elfe auftaucht.
ÖKO PUR
Kolarbyn ist ein Paradies für alle, die eins mit der Natur werden wollen. Du kochst auf einem Feuer, das du selber entfachst. Das Geschirr spülst du im Bach. Das Wasser kommt aus dem Brunnen. Die Toilette? Ein Holzhaus im Wald. Men erledigt sein Geschäft in ein Loch und schüttet Erde darüber. Die Fäkalien kompostieren sofort. Ich war schon in vielen sogenannten Öko-Lodges, aber das hier ist Öko in Reinform.
Ein Paradies für alle, die eins werden wollen mit der Natur
“Wow, da werden wir schlafen”, sagt meine Freundin Silvia und zeigt auf eine Art Nachbau einer Köhlerhütte. Ein paar Bretter mit Teer beschichtet und mit Erde bedeckt. Darauf wachsen Pflanzen, ein zuverlässiger Schutz gegen Kälte und Regen. Darin ein kleines Feuer und zwei Betten, bedeckt mit Bergen von Schaffellen. Genau das, was die Köhler damals brauchten. Denn sie saßen fest und mussten warten.
Holzkohle, viel davon, wurde für die allgegenwärtige Eisenindustrie benötigt. Und die Köhler erfüllten dieses Bedürfnis. Wenn du Kolarbyn betrittst, steht gleich auf einer Lichtung ein großer Stapel Holzscheite. Das Rohmaterial für Holzkohle. “Die Leute haben das Holz mit Torf und Erde bedeckt”, sagt Malin Bruce, Besitzerin von Kolarbyn. “Dann haben sie das Holz von oben in der Mitte angezündet. Der Trick ist, das Holz ganz langsam schwelen zu lassen und nicht zu verbrennen”, weiß Malin. “Deshalb mussten die Köhler in der Nähe des schwelenden Holzes bleiben. Nach Hause zu gehen war keine Option, also bauten sie diese kleinen Häuser und lebten während der Saison im Wald.”
Ein Film von Stan Lennips für WideOyster Media
Holzkohle und die schwedische Eisenindustrie
MONDLANDSCHAFT
So schön wie heute war der Wald damals nicht. Vor 100 Jahren ähnelte Västmanland einer Mondlandschaft mit rauchenden Schornsteinen von Hochöfen. Darin verschwanden alle Bäume.
Västmanland war das Epizentrum der schwedischen Eisenindustrie. Denn was braucht man für den Eisenabbau? Wasserkraft für Antrieb der Maschinen, Wasserwegs für die Logistik, Erz im Boden und Wälder für das Holz, um Feuer zu schüren. Västmanland hatte alles in Hülle und Fülle. Schwedisches Eisen wurde an Händlern in ganz Europa verkauft. Wer waren damals größten Händler? Genau, die Holländer.
Man könnte sagen, dass das Goldenes Zeitalter der Niederlande dieser Gegend zu verdanken ist. Denn Händler wie De Geer, Trip und Mommas, die reichsten schwedischen Familien damals, organisierten die Eisenindustrie neu. Eisen wurde für viele Dinge verwendet, hauptsächlich jedoch für Waffen: Kanonen, Handfeuerwaffen, Schwerter und Hellebarden. Und Waffen bedeuteten Macht.
Ein Historiker behauptet sogar, dass die Kolonisierung Asiens und Amerikas durch holländische und englische Handelsgesellschaften nur dank einer Handvoll schwedischer Kanonengießereien möglich war. Die gehörten fast alle der Familie De Geer, einer der bedeutendsten Waffenhändler des 17. Jahrhunderts.
GROSSGRUNDBESITZER
Im Dreißigjährigen Kriege von 1618 bis 1648 geriet der schwedische König in finanzielle Nöte. Republik und Familie De Geer liehen ihrem Königshaus hohe Geldsummen ‑ im Austausch für Privilegien. So wurden De Geer Grundbesitz und Produktionsketten zugesichert. Das Holz, das die Öfen anfeuerte, stammte aus De Geers eigenen Wäldern. Energie wurde aus der Wasserkraft eigener Bäche gewonnen. De Geer holte Handwerker aus Holland, Zinngießer aus der belgischen Wallonie und Zinnschleifer aus Deutschland. Wie verrückt wurden Kanonen und andere Rüstungsgüter gefertigt.
Das Familienoberhaupt profitierte Dank eines cleveren Tricks noch mehr vom schwedischen Königshaus. Er verkaufte alle Kanonen nach Amsterdam. Dort wurden sie auf Waffenmärkten den Einkäufern der schwedischen Armee angeboten und schließlich mit enormen Gewinnspannen veräußert. In den letzten 24 Jahren des Dreißigjährigen Krieges, von 1624 bis 1648, flossen viele Millionen Gulden aus den Taschen König Gustaaf Adolfs in die von De Geer. Und die niederländische Ostindien-Kompanie, gestärkt durch die eisernen Kanonen aus Västmanland, plünderte die ganze Welt.
MÄRCHENHAFT
Heute sind Eisen- und Holzkohleproduktion Vergangenheit. Es dauerte Jahrzehnt bis der kahle Wald wieder zu seiner ursprünglichen Pracht zurückgewachsen war. Und heute ist er ein magischer Anziehungspunkt für Naturliebhaber.
Wir nehmen uns ein paar Tage, um ganz in die Natur einzutauchen, Feuer zu machen, Holz zu hacken, Wasser zu holen. Damit sind wir den ganzen Tag beschäftigt. Die Langsamkeit des Lebens – das ist hier der Luxus.
Schweiß tropft mir aus jeder Pore meines Körpers. Das Thermometer zeigt 90 Grad
SCHWIMMENDE SAUNEN
Auch die schwimmenden Saunen von Kolarbyn sind purer Luxus. Auf Pontons im angrenzenden schwimmen ein großes Holzfass und eine schwarz geteerte Hütte. Diese beheizt man mit Holz. “Soll ich noch ein Scheit drauflegen?”, fragt Silvia. Das Thermometer zeigt jetzt 90 Grad, Schweiß tropft aus jeder Pore meines Körpers. Die Ofentür öffnet sich, ich gebe einen Spritzer Wasser auf die Glut. Dampf legt sich wie eine brennende Decke über uns. “Aaargh”, rufen wir unisono. Wir stürzen aus der Sauna, ab ins Wasser. Platsch!
Zurück im Lager. Der geschwärzte Kessel steht noch halbvoll auf kleinen glühenden Kohlen. Ich füge Birkenholzstücke hinzu, bald lecken kleine Flammen um den Kessel. Ob die Köhler auch den Luxus von frischem Kaffee kannten?
Glamping in einer Arme-Leute-Hütte?
Die schönste Öko-Unterkunft in Mittelschweden
Zurück zu den Ursprüngen ‑ wo fließendes Wasser aus dem Bach kommt und du dein Essen auf offenem Feuer zubereitest. Lass’ deine Instinkte triumphieren. Tauche ein in das Erlebnis Kolarbyn.
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