Segelexpedition im Scoresbysund
Ostgrönland
Eisberge so groß wie ein Dorf schweben majestätisch an uns vorbei. Das 350 Kilometer tiefe Netz aus Fjorden ist nur drei Monate im Jahr mit dem Boot erreichbar. Und das ist jetzt der Fall.
Überwältigende Natur
© Christian Lindquist
ÜBERWÄLTIGENDE NATUR
Der Scoresbysund, oder Kangertittivaq wie die Inuit es nennen, liegt im nördlichen Eismeer an der Ostküste Grönlands. Das GPS zeigt 70° 32. Breitengrad Nord und 24° 21. Breitengrad West: wir sind über dem Polarkreis. Das Gebiet wurde nach dem englischen Waljäger und Entdecker William Scoresby benannt. Er kartographierte 1822 die Küste der Fjorde. Der Scoresbysund gräbt sich über 350 Kilometer tief bis nach Grönland hinein und ist damit der längste Fjord der Welt. Wenn man bedenkt, dass es überall Seitenarme gibt, stellt er auch das weltgrößte Fjordnetz dar. Das Wasser ist bis zu fünfzehnhundert Meter tief, und die steilen Granit- und Basaltwände, die den Fjord begrenzen, sind manchmal bis zu dreitausend Meter hoch. Genug überwältigende Natur, um sich klein zu fühlen. Vermutlich so klein wie noch nie.
Der Waljäger und Entdecker William Scoresby kartographierte 1822 die Küste der Fjorde. Der Scoresbysund gräbt sich über dreihundertfünfzig Kilometer tief bis nach Grönland hinein und ist damit der längste Fjord der Welt.
Wir segeln von Constable Pynt durch den Hurryfjord in Richtung Ittoqqortoormiit, zur größten Stadt Ostgrönlands. Mit ganzen 429 Einwohnern. “Bis etwa 1800 lebten in der Gegend die Thule, ein Volk, das von den Inuit abstammt”, erklärt Þórður (Thordur) Ívarsson, der Schiffstechniker und Zauberer-Schlaumeier-Alleswisser der Opal. “Wir sprechen heute über globale Erwärmung, aber zwischen 1650 und 1850 war das Hauptgesprächsthema globale Abkühlung. Jene Periode war als ‘kleine Eiszeit’ bekannt. Sogar die Thule, zähe Typen, an eisige Kälte gewöhnt, flohen vor dem Eis in wärmere Gefilde. Ein Jahrhundert lang wagte sich kein Mensch in diese Gegend. Die Dänen und die Norweger stritten eine Zeit lang über die Besitzverhältnisse in Ostgrönland. Dann beschlossen die Dänen 1925, hier aktiv zu werden, gründeten das Kolonisationsbüro von Scoresbysund uns siedelten fünfundachtzig Inuit aus Westgrönland an. Und zwar an einem Ort, an dem sie Überreste einer Thule-Siedlung fanden”.
Trage als Amateurwissenschaftler zum Schutz der Umwelt bei
Werde Teil der Ocean Missions Expedition
North Sailing unterstützt die Ocean Missions Expedition. Möchtest du als Amateurwissenschaftler mit einem Team zusammenarbeiten, um Mikroplastik, Wale, Vögel und Umweltverschmutzung zu erforschen? Dann könnte das das richtige Projekt für dich sein. Und ein Abenteuer, das du nicht vergessen wirst. Gleichzeitig trägst du aktiv zum Umweltschutz bei. Zweimal im Jahr startet North Sailing zu einer Forschungsmission. Weitere Informationen über das Projekt findest du auf der Website von Ocean Missions Expedition. Infos zu den regulären Grönland-Expeditionen findest du unten auf der Seite.
Ⅰ
Isolation
Um besser zu veranschaulichen, wie isoliert dieses Gebiet ist: von Oktober bis Juni ist das Meer zugefroren. Das macht es unmöglich, mit dem Schiff hierher zu reisen. Das nächstgelegene Dorf auf Grönland, mit sage und schreibe neunzig Einwohnern, liegt achthundert Kilometer südlich von Grönland. Dazwischen gibt es nichts. Die nächstgelegene bewohnte Ort ist Húsavík auf Island, fünfhundert Kilometer entfernt am nördlichen Eismeer. Es ist die Heimatbasis der Opal.
Der Name Ittoqqortoormiit bedeutet ungefähr ‘Siedlung mit großen Häusern’. Die bunten Häuser, die plötzlich aus der unberührten Natur herausragen, sind ein markanter Anblick. Rot, grün, gelb und blau. Gelb mit grünen Knoten oder Blau mit Rot. Es fühlt sich ein bisschen an wie die grönländische Ausgabe des bekannten ligurischen Fischerdorfes Cinque Terre. Na, zumindest vom Meer aus gesehen.
Das Bellen der Hunde ist ohrenbetäubend. Es leben dreimal so viele Hunde wie Menschen an diesem Ort.
Die vielen Grabkreuze auf dem Friedhof, der das Dorf überblickt, sind Zeugen eines harten und entbehrungsreichen Lebens. Im Dorf selber blitzen die Symbole der Gegenwart: blaue Trampoline, aufgebaut in fast jedem der spärlichen Gärten. Neugierige Kinder schauen aus den Fenstern. Sie winken. Denn Dorfbesucher sind hier eher eine Seltenheit. Mitten im Dorf spielen zwei Jungen auf dem Spielplatz unter dem wachsamen Blick der Großmutter. Eines der wenigen Autos im Dorf rauscht vorbei. Auf dem Pickup klammern sich drei kleine Kinder stehend am Überrollbügel fest, ihre Ohrstöpsel so groß wie ihr breites Lächeln. Das ist ihr Abenteuer heute – ich freue mich mit ihnen. In dem kleinen Laden sind die Regale vollgestopft mit Essen und sonst allem, was man sich in einer Mischung aus Krämerladen und Vollsortimenter vorstellen kann: Lebensmittel, Puppenwagen, Gewehre. Während der kurzen Sommerperiode ist es möglich, mit dem Boot hierher zu gelangen. Wenn das Eis zu tauen beginnt, kommt ein Frachtschiff mit Vorräten für das ganze Jahr. Neun Monate im Jahr ist Ittoqqortoormiit vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Es gibt nur eine Ausnahme und die ist kostspielig. Nach Dänemark verkehrt einmal im Monat ein Hubschrauber.
LECKERES FETTES FLEISCH
Die Familie von Ingrid Anike heißt uns herzlich willkommen. Anike serviert uns gedünsteten Moschusochsen, ein leckeres fettes Fleisch, das an Rindfleisch erinnert. Die Jagd liegt den Inuit im Blut, bevorzugt an der Mündung des Scoresbysund. Im Winter ist sie eine der seltenen eisfreien Stellen dank besonderer Strömungen und Winde. Und ein Ort voller Leben. Vögel, Robben, Polarhasen, Füchse, Moschusochsen und sogar der mächtige Eisbär; alle Beutetiere der Inuit lassen sich hier erspähen. “Für die Inuit hat alles ein Anirniq, eine Seele”, erklärt Ingrid. “Zusammen bilden sie Anirniit, das Reich der Geister. Die Inuit ehren nichts, aber fürchten sich dafür umso mehr. Das ist bei den tödlichen Wetterbedingungen hier nicht so überraschend. Solange die Anirniit zufrieden sind, gibt es Wohlstand. Aber wenn sich die Geister gegen Sie wenden, oh Junge…” Wird ein Inuit von einem Eisbären getötet, spricht man hier von der ‘Rache von Nanoek’, dem Meister der Eisbären. Und der Junge, der ein paar Stunden vor unserer Ankunft im Meer ertrunken ist? Der wurde verschluckt von Sedna, der Herrin des Meeres. Mein persönlicher Favorit ist Mahaha, ein Dämon, der das gesamte arktische Gebiet terrorisiert und seine Opfer zu Tode kitzelt. Erfrorene Menschen findet man oft mit einem Lächeln im Gesicht, deshalb.
“Für die Inuit hat alles ein Anirniq, eine Seele”, erklärt Ingrid. “Zusammen bilden sie die Anirniit, das Reich der Geister”.
Wir fahren in den Fønfjord. Zum ersten Mal seit drei Tagen ist wieder Wind aufgezogen, und das nicht gerade wenig. Kapitän Heimir gibt den Befehl, alle Segel zu setzen. Wir ziehen an den Tauen bis die Segel gesetzt sind unsere Hände brennen. Die Fjorde von Scoresbysund sind ruhig, ohne viel Wind. Wenn der Piteraq kommt, wird es unheimlich. Der Piteraq ist ein kalter ablandiger Fallwind, der von der grönländischen Eiskappe ausgeht und durch die Fjorde strömt. Die Grönländische Eiskappe ist gewaltig. Monströs. Neun Prozent des gesamten Süßwassers auf dem Globus sind in dieser Eiskappe eingefroren. An manchen Stellen ist sie mehr als drei Kilometer dick. Allein durch die Lichtreflexion des Eises hält sich darüber fast immer ein Hochdruckgebiet. Wenn dieses an der Küste auf ein Tiefdruckgebiet trifft, können in den Fjorden extrem schnelle Winde entstehen, manche stark wie Orkane. Der Fønfjord ist solch ein Evakuierungsstrom für die Eiskappenwinde. Glücklicherweise bleibt der Wind heute auf einer konstanten Stärke von 5.
Um mich ein schöner, wolkenloser blauer Himmel und ein Überlebensanzug, der mich vor eisiger Kälte schützt. Schwarzer Basalt ragt über uns auf und verwandelt sich langsam in Berge, die uns aufzufressen drohen. Sie sind mit Moos und anderen kleinen Pflanzen bedeckt. Ein Moschusochse grast alleine, sein weiches Fell flattert im Polarwind. Meine Lungen füllen sich mit eiskalter, salziger Meeresluft. Die Takelage des Schoners strafft sich. Die Welt um mich herum ist die Welt, wie sie es seit Anbeginn der Zeit ist; von Naturkräften geformt, von Eis und Wind poliert. Was würdest du tun, wenn du hier aufwachst, an einem Strand mit schwarzem Sand? Wohin würdest du gehen? Wie könntest du überleben? Wenn die Kälte dich nicht erwischt und wenn es dir gelingt, einen arktischen Hasen zu fangen, der so zahm ist, dass er es wagt bis auf zwei Meter an dich heranzukommen, selbst dann ist die Chance, dass du überleben und eines Tages einen anderen Menschen sehen würdest, minimal. Die Natur hat hier das Sagen, und sie ist in dieser Gegend nicht großzügig.
Die Natur hat hier das Sagen, und sie ist in dieser Gegend nicht großzügig.
HYBRID-SEGELSCHIFF
So schnell uns der Wind beim Einfahren in den Fønfjord aufnahm, so schnell ließ er uns dann im Rødefjord im Stich. Wie auch immer, der Segelteil ist für heute beendet. Der gaffelgetakelte Schoner Opal wurde 1951 in der Bodenwerft in Damgarten, Deutschland, gebaut. Von 1970 bis 1983 baute man ihn in den eleganten Zweimaster um, der er – mit seiner schlanken Linie aus Eichenholz und Kupferverkleidung – heute noch ist. 2013 wurde die Opal in die North Sailing Flotte aufgenommen. “Es ist schon ein besonderer Kahn”, sagt Þórður, “das erste Segelschiff mit einem speziell entwickelten regenerativen Plug-in-Hybridantriebssystem.” Jetzt entdeckt Þórður die Fragezeichen in meinem Gesicht. “Äh, also, das heißt, die Opal hat ganz moderne Batterien. Diese Batterien können an Land mit Strom aufgeladen werden, wie bei einem Hybridauto. Auf See speist ein Unterwasserpropeller die Batterien, wie bei einem Dynamo. Je schneller das Schiff, desto schneller der Propeller, desto schneller sind die Batterien aufgeladen. Und ich bin mit an Bord, um das System zu perfektionieren. Mein Ziel ist es, dass wir ganz auf Dieselmotoren verzichten. Diese Technik ist schon einzigartig. Kein anderes Schiff fährt damit.”
Disco-Himmel
© Örvar Atli Éorgeirsson
Der Vorteil der Batterien zeigt sind, wenn wir keinen Wind in den Segeln haben: Eine große Stille, Ungestörtheit, kein Motorenlärm. Lediglich das Plätschern des Wassers ist zu hören, manchmal ein kleiner Eisklumpen am Bug. Die Opal wird auch zur Walbeobachtung in Island eingesetzt. Dank des lautlosen Antriebs kommen die Tiere der Opal näher als jedem anderen Schiff.
Rosa und orangefarbene Nebelböen bewegen sich hoch oben am Himmel, manchmal feurig, manchmal hell wie Scheinwerfer.
Die Nacht bricht herein, klar wie Kristall. Die unzähligen blitzblanken Sterne der Polarnacht versetzen mich in eine leicht melancholische Stimmung. Ein Glas isländischer brennivín, gekühlt durch jahrhundertealtes Eis, das wir eigens zu diesem Zweck von einem blauen Eisbrocken abgehackt haben, verstärkt mein Gefühl. Ich starre in den sternenübersäten Himmel, als sich plötzlich eine kleine grüne Explosion in die dunkle Nacht hineinmutiert. Ein gespenstisch grünes Licht bewegt sich durch die Nacht, verschwimmt, löst sich auf. Zu meiner Linken eine weitere Explosion, dann rechts, dann wieder links. Rosa und orangefarbene Nebelböen bewegen sich hoch oben am Himmel, schneller jetzt, manchmal so hell wie Scheinwerfer, manchmal feurig. Disco-Zeit in der grönländischen Polarnacht! Dieses Nordlicht ist ein Sonnenwind, der voll Energie steckt. Die Energie wird freigesetzt, wenn der Wind mit Sauerstoff- und Stickstoffatomen in der Atmosphäre zusammenprallt. Dann wird zeichnen sich bunte Polarlichter in den Himmel, in einer Höhe von 80 bis 1.000 Kilometern. Schon früher habe ich Nordlichter gesehen, aber keines wie dieses. Noch nie habe ich sie so klar, so oft und so lange gesehen. Es ist auch das erste Mal, dass ich sie höre. Heute ist die die Nacht sehr lang, denn ich kann mich diesem Schauspiel nicht entziehen. Ob ich so etwas jemals wieder sehen werde? Tatsächlich war es am nächsten Tag und auch am übernächsten wieder soweit. Igaluk, der Mondgott der Inuit, und sein Bruder, der Sonnengott, sie haben sich wahrlich verausgabt.
Gold & Hellblau
© Linda Wasell
Schönheit. Unbefleckte Schönheit. Man fürchtet sich, den Kopf nach rechts zu drehen, aus Angst, etwas auf der linken Seite zu verpassen. Als Reiseschriftsteller und begeisterter Seefahrer war ich an vielen schönen Orten auf den sieben Weltmeeren dieses Planeten, einschließlich der Antarktis und der Drake’s Passage. Die Gewässer Ostgrönlands sind jedoch die unberührtesten und schönsten Gewässer, die ich je befahren habe. Ich ziehe sie sogar der Antarktis vor, denn wo der Südpol schwarz und karg ist, existieren hier Pflanzen.
Während wir nach Ittoqqrtoormiit zurücksegeln, treffen wir von hinten auf Bjørne Øer, die Bäreninseln. Sie werden so genannt, weil der Bergrücken den Bärenklauen ähnelt. Es ist 4:45 Uhr. Die Sonne geht auf in tausend Farben. Die verschlafenen, spitzen Berggipfel der Bjørne Øer werden von rosa Sonnenstrahlen geküsst. Das Meer ist flach, aus Gold und Hellblau. In der Ferne am Horizont bricht ein Eisberg von der Größe einer Kleinstadt ab. Das verbleibende Eismonster verliert sein Gleichgewicht, dreht sich langsam und erzeugt rollende Meereswellen. Ultradünne Eispfannkuchen bildeten sich des Nachts auf dem Scoresbysund. Eine Erinnerung daran, dass wir bald aufbrechen müssen um nicht einzufrieren. Die ostgrönländische Wildnis verschließt sich. Sie bereitet sich vor, auf die immer wiederkehrende Winterherrschaft der rauen Mutter Natur.
In der Ferne am Horizont bricht ein Eisberg von der Größe einer Kleinstadt ab.
Entdecke die Schönheit Grönlands mit North Sailing

Grönland Expedition
Die Opal ist ein Schoner, ein traditionelles klimaneutrales Segelschiff von North Sailing. Nur in den Sommermonaten segelt sie in grönländischen Gewässern. Ein privater Charterflug holt dich in Reykjavik, Island, ab und bringt dich zum Schiff. Vergiss nicht, den Fahrplan zu checken, damit du bald ein atemberaubendes Abenteuer antreten kannst.
Ⅰ