Eine Reise tief in die Wüste
Ost-Jordanien
Ein Streifen im Osten Jordaniens bleibt von vielen Reisenden meist unbemerkt. Es ist ein Gebiet, in dem die Wüste die Hauptrolle spielt und ein ebenso schönes wie raues Gesicht zeigt. Und wie in jeder Wüste gibt es auch hier eine Oase. Im Osten Jordaniens finden wir eine faszinierende Tierwelt, abgelegene, versteckte Lodges, Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur und Wasser! Komm’ und entdecke den Zauber der Wüste.
Unsere Reise beginnt im Morgengrauen im quirligen Amman. Von der Hauptstadt aus blicken wir der aufgehenden Sonne entgegen und folgen einer Straße, die zu den nahen Grenzen Iraks und Syriens führt. Es ist schon seltsam, wie es Jordanien gelingt eine Insel des Friedens im Nahen Osten zu bleiben.
Petrol Road
Je weiter wir nach Osten kommen, desto karger wird die Landschaft. Ein Meer aus Erde und Sand wird von einer Linie aus schwarzem Zement durchzogen. Wir befinden uns auf der “Petrol Road”, einer Straße, die unter britischer Herrschaft gebaut wurde, um Öl aus dem Irak zum Hafen von Haifa zu transportieren. Noch heute verkaufen vereinzelte Händler saudisches oder irakisches Benzin am Straßenrand. So wie Abu Amjad Al Shurafat, mit dem wir am Eingang seines Hauses, neben seinem Wasserwagen und seiner Schafherde, sprachen. “Früher war es die Ölstraße, jetzt ist es die Wasserstraße. Im Laufe der Jahre sind alle Beduinenstämme hierher gezogen, weil sie der Wasserstraße und den an ihr gebauten Schulen gefolgt sind.” Sein Sohn erscheint mit einer Kaffeekanne und zögert nicht, uns zu beköstigen. Die jordanische Gastfreundschaft ist überall zu spüren.
Badiya-Höhle
“Wir sind angekommen!” ruft Bader, unser Führer, aus. “Wo?” fragt der Fahrer verwirrt. Um uns herum gibt es nichts Besonderes in dieser strukturlosen Wüste. “Links da drüben, ist die Badiya-Höhle”, antwortet Bader.
Ein paar Instruktionen später legen wir unsere Klettergurte an und seilen uns zehn Meter zum Grund eines Höhlenlochs ab. Wir stapfen in die Dunkelheit zwischen Felsen und feinem Strandsand, bis das Sonnenlicht schwindet und der Boden sich in Schlamm wandelt. Wie kann es sein, dass es in der Wüste Wasser gibt? Der Boden wird immer glitschiger, je weiter wir zwischen den Galerien und Räumen vorankommen. Hast du schon mal absolute Stille in völliger Dunkelheit erfahren? Höre genau hin: Du kannst spüren, wie sich die Wassertropfen auf dem Basaltgestein bewegen. “Schaut nach oben, Freunde”, sagt Bader. Es scheint wie ein Wunder: Die Decke der Höhle erstrahlt durch die Reflexion unserer Scheinwerfer. Winzige Sterne von zartem Weiß funkeln mit den Wassertröpfchen um die Wette und formen Licht-Konstellationen. Es ist atemberaubend.
In Azraq gab es einst ein Feuchtgebiet. Es gibt Fotos aus dem Jahr 1965, auf denen Fischer zu sehen sind, die ihre Netze auswerfen, während ihnen das Wasser bis zu den Hüften steht
Eine wiedergeborene Oase
Willkommen in der Azraq Lodge, einem ehemaligen Militärlager, das zu einem Hotel mit zehn Zimmern umgebaut wurde. Der am Stadtrand von Azraq gelegene Komplex diente einst auch als Basislager für anglo-jordanische wissenschaftliche Expeditionen. Der Grund dafür? In Azraq gab es einst ein Feuchtgebiet, in das riesige Vogelschwärme aus Europa einwanderten. Es gibt Fotos aus dem Jahr 1965, auf denen Fischer zu sehen sind, die ihre Netze auswerfen, während ihnen das Wasser bis zu den Hüften steht. Diese paradiesische Oase ist inzwischen praktisch verschwunden. Nach und nach wurde immer mehr Wasser für andere Zwecke entnommen, wodurch die Lagunen und Feuchtgebiete austrockneten. Dank der Arbeit der Royal Society for the Conservation of Nature (RSCN) hat sich ein Teil dieses Ökosystems erholt, und heute kann man einige der Lagunen im Azraq Wetland Reserve besuchen.
“Mein Großvater hat geholfen, diesen Ort zu zerstören”, sagt Jaafar Aloqili und zeigt auf ein Foto, auf dem sein Großvater neben einem großen Rohr posiert. Wir befinden uns im Besucherzentrum des Reservats, wo Jaafar als Ranger arbeitet. Der Ort ist ebenso schön wie traurig. Wenn man die Wasserbüffelherden beobachtet, die durch die zurückgewonnenen Teiche wandern, kann man sich vorstellen, wie das Gebiet in seinen besten Zeiten aussah. “Ja, es ist eine traurige Geschichte”, sagt Jaafar, während er mit dem Daumen auf sich selbst zeigt. “Deshalb versucht sein Enkel jetzt, es zu restaurieren.”
Wüstensafari
“Achten sie auf die Schlangen, Sir.” Gibt es hier viele? “Oh ja, ziemlich viele. Sogar Kobras, die nicht mal die gefährlichsten sind. Die Warnung stammt von Laith Safadi, einem Safari-Guide im Shaumari-Naturreservat.
Shaumari ist einer der zehn Nationalparks und Reservate, die von der RSCN verwaltet werden. Ein idealer Ort, um in die Flora und Fauna eines Ökosystems einzutauchen, das Unwissenden langweilig erscheint. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein: Allein in diesem Reservat wachsen bis zu 193 Pflanzenarten.
Wir nähern uns leise einer Herde grasender Oryxantilopen. Sie stören sich nicht an unserer Gesellschaft. Eine Staubwolke in der Ferne kündigt eine Gruppe wilder Esel an: “Sie sind nicht wie die Oryx. Sie sind scheu und schnell, und obwohl wir es immer wieder versuchen, sie lassen uns nicht an sie heran.”
Laith springt aus dem Jeep und pflückt Artemisia-Blätter. “Das ist eine Wüstenheilpflanze: antioxidativ und sehr gut für den Magen. Zeit für einen Tee! “Er entzündet ein kleines Feuer, gibt die Blätter in den Kessel und bringt das Wasser zum Kochen. Er schreckt auf und zeigt zum Himmel: “Schau, ein Falke. Er jagt.“
Eine Staubwolke in der Ferne kündigt eine Gruppe wilder Esel an: “Sie sind nicht wie die Oryx. Sie sind scheu und schnell, und obwohl wir es immer wieder versuchen, sie lassen uns nicht an sie heran
Tschetschenische Verbindung
“Maʹrša voagӀijl. Willkommen”, begrüßt man uns auf Tschetschenisch, als wir an einem schönen Haus am Rande von Azraq ankommen. Moment mal! Auf Tschetschenisch? Ja, richtig.
Interessanterweise gibt es in Jordanien und Azraq schon seit über einem Jahrhundert eine Gemeinschaft tschetschenischer Familien. Und wir wurden eingeladen, mit der Familie Shehani eine Mahlzeit zu teilen. Dies ist eine der Erfahrungen, die jeder Reisende in Jordanien machen sollte, um mehr über die kulturelle Vielfalt des Landes zu erfahren.
“Ich erinnere mich daran, seit meiner Kindheit, dass Fremde in diesem Haus immer willkommen waren”, sagt Ahmed Al Shehani, das Familienoberhaupt. Er kombiniert die tschetschenische Kleidung mit dem traditionellen jordanischen Kopftuch, dem shemagh. Wir betreten sein Haus, und er stellt uns seiner Schwester Khadijah Al Shehani und seinen Neffen vor, von denen einer die traditionelle Tracht tschetschenischer Krieger trägt. “Von jetzt an seid ihr für uns keine Touristen, sondern unsere Gäste”, sagt er. Im Wohnzimmer hängen Bilder des alten Tschetscheniens mit Hirten und Pferden. Wie ist eure Familie aus Tschetschenien nach Jordanien gekommen? frage ich neugierig. “Unser Großvater wanderte vor 120 Jahren aus. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte das russische Reich gegen die Völker des Kaukasus. Infolgedessen wurden 5.000 tschetschenische Familien aus dem Osmanischen Reich vertrieben. Im Jahr 1903 schickten die osmanischen Behörden die ersten 700 tschetschenischen Familien in die Region Transjordanien. Die Einwanderer ließen sich in unbesiedelten Gebieten nieder, die sich besser für die Landwirtschaft eigneten und näher an den Wasserquellen lagen, wie in Azraq. An diesem paradiesischen Ort, so erzählte mir meine Großmutter, gab es dank des Wassers eine reiche Landwirtschaft, Vieh, Pferde und sogar große Vogelschwärme. Aber als der Wasserstand in der Gegend immer mehr sank, zogen viele Menschen weg.”
Ahmed Al Shehani, das Familienoberhaupt, kombiniert tschetschenische Kleidung mit dem traditionellen jordanischen Kopftuch, dem Shemagh
In der Küche bereiten die Frauen zwei typische tschetschenische Gerichte zu: mantesh und galnash. “Diese Gerichte, werden normalerweise einmal im Monat zubereitet, was davon abhängt, wie gut der Koch im Hause ist”, sagt Khadijah mit einem Lächeln. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer Tochter bringt sie uns geduldig bei, wie man mit einer präzisen Technik die feinen Formen des Weizen- und Maisteigs knetet. Es ist eine Sache, es zu sehen, aber eine andere, es zu tun. Und tatsächlich sieht es einfacher aus, als es ist. Meine Ergebnisse könnten definitiv besser sein. Sie lachen mich aus, aber schließlich, nachdem ich ein paar halbwegs akzeptable Teilchen hinbekommen habe, höre ihren Beifall: “Gut gemacht!”
Die weiße Wüste
Die Weite der Wüste wird immer spürbarer, je weiter wir auf dem Highway in Richtung der Grenze zu Saudi-Arabien fahren. Kurz vor der Grenze biegen wir auf eine Schotterpiste ab, die wie eine Straße ins Nirgendwo aussieht. Unser Ziel: Wadi Dahek, die weiße Wüste.
Nach ein paar Kilometern, währenddessen das Abendlicht seinen Zauber entfaltet, stehen wir vor einer Ebene mit markanten weißen Felswänden am Horizont. Eine Herde Kamele läuft frei umher. Ein wunderschöner Anblick. Außer uns ist weit und breit niemand zu sehen. Je näher wir den felsigen weißen Wänden kommen, desto besser erkennbar sind die kuriosen Formen, die der Wind in sie hineingefressen hat. Siehst du den Hund? Und die fliegende Untertasse? Schau, eine Sphinx! Die Wolken färben sich rosa, und wir genießen jede Lichtstimmung in dieser außergewöhnlichen Landschaft.
“Nur wenige Jordanier kennen diesen Ort”
“Nur wenige Jordanier kennen diesen Ort, er ist ziemlich unbekannt”, sagt Bader, während wir unser Lager in der Dämmerung aufschlagen. Es wird dunkler und nur noch die orangefarbenen Lichter der Grenze in der Ferne sind zu sehen. Das Mondlicht spiegelt sich wie ein starker Scheinwerfer auf dem weißen Sand. Wir brauchen nicht einmal unsere Stirnlampen. Außer dem Glucksen der Wasserpfeife unseres Fahrers hören wir nur Stille, auch wenn jeden Moment ein Wolf, ein Schakal oder eine Hyäne aufheulen könnte.
WideOyster Tour-Auswahl
Burqu Lodge
Stundenlang überholen wir nur Lastwagen, beladen mit irakischem Diesel. Polizisten an Kontrollpunkten und versprengte Beduinenhirten mit ihren Herden inmitten des absoluten Nichts, sind die einzigen Menschen die wir sehen. Wie schaffen sie es, von Tag zu Tag zu überleben?
Wir biegen ab, auf eine Schotterpiste und folgen dem Tempo des Sonnenuntergang, während sich am fernen Horizont riesige Gewitterwolken auftürmen. Die Landschaft ist trostlos schön. Hier ist es ein Leichtes, sich unbedeutend und verletzlich zu fühlen. “Das hier ist die Mitte von Nirgendwo”, bemerkt mein Fotografenkollege Frits ganz richtig. Wir fahren auf einer Piste durch ein Meer von Sand und Felsen nach Burqu.
Die Burqu Lodge ist eine ehemalige Jagdhütte, die in ein modernes und schlichtes Hotel umgewandelt wurde. “Warum sollte jemand hierher kommen?”, fragt unser Fahrer. Für uns hat sich allein die Fahrt schon gelohnt. Der Tag endet mit einem spektakulären Gewitter über dem Himmel des Irak.
Kilometerlange Pisten, auf denen die Landschaft immer die gleiche zu sein scheint
Wüste Poesie
“Wo bringt ihr uns hin?” frage ich. Lange vor Sonnenaufgang wachten wir auf, um in der Wüste zu frühstücken. Die Sonne hat bereits an Kraft gewonnen, und noch sind wir nirgendwo angekommen… Kilometerlange Pisten, auf denen die Landschaft immer gleich zu sein scheint, obwohl das geschulte Auge die subtilen Veränderungen in jedem kleinen Detail wahrnimmt: die Farbe des Sandes, die Form der Felsen, das Auftauchen von Büschen, Sträuchern und… Wasser! Man sagt, dass eine der Schönheiten der Wüste darin besteht, dass sie ein Ort ohne Erwartungen ist. Aber das Auftauchen eines Sees ist das Letzte, was wir erwarten.
Unsere Gastgeber legen mehrere Teppiche am Ufer aus. Sie füllen nach und nach kleine Schalen mit lokalen Köstlichkeiten: Labaneh, Zaatar, Hummus, Duqqa, Halaweh, Maqdous usw. Wir genießen jeden Bissen und beobachten die weißen Schmetterlinge, die in der ländlichen Umgebung umherflattern. “Mögt ihr die Wüste?”, werden wir gefragt. Natürlich, wir lieben sie! Es heißt, die Wüste sei ein hervorragender Ort, um sich zu verirren und sich selbst zu finden. Genau das ist der Zauber der Wüste. Und der Charme von Ost-Jordanien.
Tauche ein in eine unbekannte Welt
Wildes Jordanien
Die RSCN verwaltet und schützt ein nationales Netz von Schutzgebieten, um die biologische Vielfalt Jordaniens zu erhalten und die Entwicklung lokaler Gemeinschaften zu unterstützen. Gleichzeitig wirbt sie für mehr öffentliche Unterstützung und Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Umwelt in Jordanien und den Nachbarländern.