Im Kielwasser von Darwins Beagle
Segeln mit der Serendipia
Verführerisch rau. So könnte man die Gewässer des Beagle-Kanals bezeichnen. Marco Barneveld und Frits Meyst segelten mit der Serendipia von Puerto Williams aus. “Delfine tauchten und tummelten sich im goldenen Morgenlicht um uns herum, als wir Kurs auf den Glacier Pia, unser eisiges Ziel, nahmen.”
Ich wache auf, als Mauro den Taylors’ Gaskocher anwirft. In meiner Koje im Bug der Serendipia ist es warm und gemütlich. Irgendwie schlafe ich an Bord von Segelschiffen immer tiefer als tief. Es wird das Schaukeln des Bootes sein, das Erinnerungen an einen sicheren Schoß hervorruft. Oder etwas Ähnliches. Ich weiß es nicht. Ich springe aus meinem warmen Bett direkt in meine vorgewärmten Kleider. In eisigen Gefilden ist es immer eine gute Idee, seine Kleidung mit unter die Decke zu nehmen. Mit einer dampfend heißen Tasse Kaffee begebe ich mich auf das Deck. Caletta Morning, die Bucht in einem der Seitenarme des Beagle-Kanals, in der wir ankern, ist bereits voller Leben. Der Wasserfall gurgelt fröhlich; zwei Kondore thronen an ihrem Stammplatz hoch oben auf den Felsen, die von jahrelangen Kondorausscheidungen weiß sind. Ich suche die Bucht nach dem einsamen Delfin ab, der uns gestern begrüßte und uns Gesellschaft leistete, bis wir unter Deck gingen. Ich sehe ihn nicht mehr. Dann sehe ich neben dem Boot, unter Wasser, einen bläulichen Schatten am Kiel vorbeiziehen. Und noch einen. Und noch einer. Unser freundlicher Delfin hat es zu seinen Kumpels geschafft. Sie tauchen und tummeln sich um uns herum und leiten uns im goldenen Morgenlicht, während wir Kurs auf Glacier Pia nehmen, unser heutiges eisiges Ziel.
Vorsehung
Vor ein paar Tagen gingen wir in Puerto Williams an Bord der Serendipia, dem Stahlsegelschiff von Mauro Carrizo. Mauro ist gebürtiger Argentinier, fand aber hier seine Bestimmung, als er als Seemann mit dem Vorbesitzer des Schiffes segeln durfte. Heute ist er Eigentümer des 38-Fuß-Schiffs und organisiert mit ihm Segeltörns ab Puerto Williams. “Dieses Schiff stand genau zum richtigen Zeitpunkt zum Verkauf”, lacht Mauro. “Deshalb habe ich es Serendipia getauft. Glücklicher Zufall.” Mauro umsegelt Kap Hoorn, die Gewässer des Beagle-Kanals mit ihrer fantastischen Tierwelt und segelt zu den Mündungen der Gletscher. Alles in Absprache mit seinen Gästen, aber stets auf Grundlage der Wettervorhersage.
“Hierher zu kommen ist kein Problem, aber wieder weg, das ist eine Kunst”
Freie Seelen des Meeres
Die kleine Stadt Puerto Williams kann sich mit Stolz die südlichste Stadt der Welt nennen. Im Jachthafen liegt eine bunte Mischung internationaler Segler, die manchmal monatelang darauf warten, dass der Wind und die Aussichten günstig sind, um ihre Reise zu beenden. “Hierher zu kommen ist überhaupt kein Problem”, sagt der australische Profisegler im Ruhestand Tony Mowbray. “Wenn man um die Welt segelt, blasen einen die meisten Winde natürlich in Richtung Puerto Williams. Aber von hier wegzukommen, das ist eine Kunst.” Er muss es wissen. Tony ist unter anderem solo nonstop um die Welt gesegelt.
Neben dem alten Salzigen Hund im Yachthafen von Puerto Williams liegt die SV Sweet Ruca, die den Amerikanern Curtis Jazwiecki und seiner Freundin Kate gehört. “Wir haben alles verkauft, dieses hübsche kleine Boot gekauft und verdienen jetzt Geld als Influencer. Denn, na ja, man muss ja auch mal Geld verdienen.” Das gilt für die meisten freien Seelen hier im Hafen am Ende der Welt, außer für den luxemburgischen Ex-Banker, der mit seiner Red Lion neben der Serendipia vor Anker liegt. Er hat sein Glück gefunden und mit 50 die Freiheit gewählt.
Das Cordillera-Darwin-Eisfeld erstreckt sich über eine Fläche die etwa so groß ist, wie Paris und London zusammen
Eisfelder
Das kolossale Eisfeld des Pia-Gletschers türmt sich über uns auf. Die leuchtend blauen Gletscherzungen heben sich deutlich von den dunklen Felsen und der tiefgrünen Vegetation an den Berghängen ab. Gelegentlich ertönt ein lautes Krachen, wenn Eisbrocken abbrechen. Der Pia-Gletscher ist Teil des Cordillera-Darwin-Eisfeldes, das sich über eine Fläche von mehr als 2.300 Quadratkilometern erstreckt. Zum Vergleich: Das ist etwa so groß wie Paris und London zusammen, und noch ein bisschen mehr. Das Eisfeld bildet die größte Landeisfläche an der südlichsten Spitze des amerikanischen Kontinents.
Hier, in den tiefen Fjorden, ist die Kraft der Natur spürbar. Herbstwinde peitschen das Wasser des Beagle-Kanals auf, bis kleine Wassertornados auf dem Kanal tanzen. Gelegentlich sehen wir die Flosse eines Wales aus den Wellen ragen. Hier wimmelt es nur so von Walen. Langsam biegen wir in eine Bucht ein. Mauro manövriert vorsichtig zwischen Eisschollen und Felsen hindurch, um in die Bucht von Glacier Pia zu gelangen. Die Sonne wirft ihre gleißenden Strahlen auf das Eis und lässt die Oberfläche glitzern, als wäre sie mit Millionen von Diamanten besetzt; mit donnerndem Getöse bricht ein massiver Eisbrocken ab und schickt eine rollende Welle in Richtung Serendipia – ein beeindruckendes Schauspiel, das aber auch eine gewisse Zerbrechlichkeit in dieser Landschaft offenbart. Aufgrund der globalen Erwärmung schmelzen die Gletscher rasch. Manche sogar bis zu zwei Meter pro Jahr.
Yagans
Aber wir können diesen Gletscher immer noch bewundern. Und das sollte gefeiert werden. Wir segeln mit dem Beiboot um die Bucht, sobald sich die Flutwelle des brechenden Eises beruhigt hat. “Halte Ausschau nach Eisbrocken, die keine Luftblasen enthalten”, sagt Mauro, während ich mit Angelhandschuhen Eisbrocken aus dem salzigen Wasser fische. “Dieses Eis ist mehr als zehntausend Jahre alt”, erklärt Mauro, als ich ein vollkommen durchsichtiges Exemplar finde. Zehntausend Jahre altes Eis. Perfekt für Whisky. Das uralte Eis knistert vor Vergnügen, als wir die Spirituose darüber gießen. Wir trinken auf die atemberaubende Schönheit, die uns umgibt, und einen Tropfen extra für Watauineiwa, den Meeresgott, der dein Kanu umkippen kann, wenn er wütend ist.
Watauineiwa ist ein wichtiger Meeresgott in der Mythologie der Yagan, einem im Süden Chiles lebenden indigenen Volk. Die Yagan reisten traditionell in Kajaks umher und lebten vom Meer in den Fjorden und Kanälen Patagoniens.
“Watauineiwa ist ein riesiger Gott mit einem langen Bart, der auf dem Grund des Meeres lebt. Er entscheidet, ob das Meer ruhig oder wild ist, und versorgt die Ayayema mit Fischen und Meeressäugetieren”
In ihrem animistischen Glauben gilt Watauineiwa als mächtige Gottheit, die das Meer beherrscht”, sagt Mauro. “Er wird als riesiger Mann mit langem Bart dargestellt, der auf dem Grund des Meeres lebt. Watauineiwa entscheidet, ob das Meer ruhig oder wild ist. Er versorgt die Yagans mit Fischen und Meeressäugern, von denen sie leben. Aber er kann auch Stürme und hohe Wellen erzeugen, wenn er wütend ist. Die Yagans bringen Watauineiwa Opfergaben dar, um ihn zu besänftigen, damit sie sicher reisen und fischen können. Unser Tropfen Whisky wird ihn sicher aufmuntern.”
Und Watauineiwa freut sich offenbar über das Tröpfchen Whisky. Als wir die Bucht verlassen, stoßen wir fast mit einem einheimischen Fischerboot zusammen. Die freundlichen Fischer sind mit einem reichen Fang an Schneekrabben gesegnet, den sie gerne mit uns teilen. Danke, Watauineiwa!
Herbstwinde peitschen das Wasser des Beagle-Kanals, bis kleine Wassertornados auf dem Kanal tanzen
Ruhig
Feuerland und Patagonien hatten noch viel mehr indigene Stämme. Aber die Einwanderer aus der Alten Welt waren grausam und rotteten die ursprünglichen Bewohner fast vollständig aus. Was bleibt, sind sanfte Hügel, die an die Indianerstämme erinnern, die Generation für Generation Muscheln aßen und ihre Abfälle auf den Boden warfen, bis der Müll zu den Hängen in der Landschaft wurde.
Mauro wirft den Anker der Serendipia vor der Insel Kanasaka aus. Claudio Martinez Gil empfängt uns freundlich. Claudio ist ein Mann der wenigen Worte. Andererseits braucht man auch keine Worte, wenn man allein auf einer dreitausend Hektar großen Ranch mit zweihundert Kühen und zwanzig Schafen lebt. Das Blockhaus, in dem Claudio lebt, wurde 1929 von seinem Großvater gebaut. “Es ist schön und ruhig hier”, sagt Claudio. Gelegentlich schlachtet er eine Kuh oder ein Schaf und bringt es nach Puerto Williams, wenn er Geld braucht. In seinem Haus ist es verdammt heiß. Der Ofen ist angeheizt. Durch das Fenster kann man Ushuaia auf der argentinischen Seite des Beagle-Kanals sehen. 5 Kilometer Luftlinie. Claudio war noch nie dort, obwohl seine Tante dort lebt. “Was soll ich dort?”, knurrt Claudio. Vor ihm liegt “Die Verwandlung” von Franz Kafka. Claudio liest es zum zweiten Mal.
Darwin, Magellan, Willem Schouten und Jacob Le Maire
Auf dieser Reise segelten wir im Kielwasser mehrerer Entdecker. Welche Verbindungen gibt es zwischen Darwin, Magellan, Schouten, Le Maire und der Magellanstraße, dem Beagle-Kanal und Kap Hoorn?
Die Geschichten der europäischen Entdecker Magellan, Schouten, Le Maire und Darwin sind durch ihre bahnbrechenden Seereisen rund um diesen tückischen Zipfel Südamerikas miteinander verwoben. Ferdinand Magellan entdeckte und kartographierte die schmale Magellanstraße im Jahr 1520 und fand so eine Passage zwischen Atlantik und Pazifik.
Ein Jahrhundert später umrundeten die holländischen Seefahrer Willem Schouten und Jacob Le Maire als erste das stürmische Kap Hoorn und bewiesen damit, dass man ganz Südamerika umfahren und den Pazifik erreichen kann.
Charles Darwin folgte später den Spuren dieser Entdecker und segelte in den 1830er Jahren an Bord der HMS Beagle durch die Magellanstraße und umrundete Kap Hoorn, um den Pazifik zu erreichen. Diese Reise lieferte wichtige Beweise für Darwins revolutionäre Evolutionstheorie.
Magellan erschloss die Meerenge, Schouten und Le Maire bezwangen Kap Hoorn, und Darwin durchquerte beide, um Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens auf der Erde zu gewinnen. Die Berichte und Karten, die diese mutigen Entdecker hinterließen, trugen dazu bei, die Handelswege zwischen Europa, Amerika und Asien zu öffnen und die gefährlichen, aber wichtigen Seepassagen an Südamerikas südlichstem Punkt zu umgehen.
Scherenschnitte
An der Landschaft hat sich wenig geändert, seit Darwin, dessen Schiff Beagle diesen Gewässern im äußersten Süden den Namen gab, auf seiner Entdeckungsreise hier vorbeikam. Nur wenige Menschen leben in der eintönigen Leere dieser eher unbarmherzigen Umgebung. Die Herbstwinde sind alltäglich, die Strömungen stark und die Kälte im Winter unwirtlich. Kap Hoorn, nur ein Stück weiter, war der Tod vieler Schiffe, einschließlich ihrer Besatzung. Manche sagen sogar, dass es dort spukt. Aber na ja, was soll’s. Segeln im südlichen Patagonien ist eine kraftvolle Umarmung von Mutter Erde, wo sie noch allein regiert, wo mickrige Menschen nur Gäste sind. Ein Ort, der alles ins rechte Licht rückt.
Seit Darwin hier vorbeikam, hat sich an der Landschaft wenig verändert
Und während Mauro in der Kombüse die verrücktesten Köstlichkeiten zaubert, stehe ich am Ruder. Puerto Williams liegt noch einige Kilometer entfernt. Das Glitzern auf den Köpfen der Dünung weicht den schemenhaften Silhouetten von Dutzenden von Delfinen. Sind das dieselben, die wir Anfang der Woche in der Caletta Morning Bay gesehen haben? Sie schießen links und rechts an der Serendipia vorbei, springen gelegentlich kurz über Wasser und tauchen dann unter das Schiff. Die göttlichen Taucher spielen mindestens eine halbe Stunde lang mit unserem Boot. Offenbar gefällt ihnen die Serendipia genauso gut wie mir.
Auf den Spuren von Darwins Beagle
Segeln mit der Serendipia
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