Eine rote Wüste mit Bergen, die aussehen wie schmelzendes Schokoladeneis, uralte geheimnisvolle Städte, ein mausetotes Meer und eine mystische Bibelgeschichte an jeder Ecke. Das ist Jordanien, die Perle des mediterranen Nahen Ostens.
Willkommen auf dem Roten Planeten
Wadi Rum, Jordanien


Der klare Wüstenhimmel mit den funkelnden Sternen über dem jordanischen Wadi Rum wird jetzt getrübt durch aufgewirbelte Sandkörnchen, die man im Scheinwerferlicht der geparkten Jeeps sehen kann. Hamad, einer unserer Gastgeber, hatte doch Recht als er vor dem Schlafengehen einen Haboob (arabisch für Staubsturm) prophezeite. Wie ein Geist fliegt ein Zelt durch die Lichtstrahlen in die Dunkelheit. Es macht Mühe die Augen offen zu halten. Und auch zu atmen. Sämtliche Ritzen füllen sich mit feinem Wüstenstaub. Zum Glück habe ich eine Taucherbrille neben meinem Kopfkissen liegen. Ich habe sie Anfang der Woche beim Tauchen auf dem Grund des Roten Meeres gefunden. Praktisch.
Ich wickle mir mein Keffiyeh, das jordanische rot-weiße Tuch, um den Kopf. Damit bedecke ich Mund und Nase. Zudem setze ich die Brille auf. Schnell stehe ich auf, um anderen im Lager zu helfen und zu retten, was zu retten ist. Wadi Rum macht seinem Namen alle Ehre. Es bedeutet “Tal des Flugsandes”.
Wadi Rum bedeutet “Tal des Flugsandes”
DER ROTE PLANET
Wadi Rum kommt mir vor wie ein endloser Strand, an dem man vergeblich nach Wasser sucht. Turmhohe Sandsteinblöcke und erodierte Granitfelsen scheinen wahllos liegen geblieben zu sein. Ihre Furchen, Schichten, Auswölbungen und Absätzen regen meine Fantasie an. Mein Geist gaukelt mir Fabelwesen, schmelzendes Schokoladeneis und futuristische Wohnanlagen vor.
Hier könnte es auch gewesen sein, wo Jesus 40 Tage und Nächte lang ohne Nahrung und Wasser herumirrte. Außer Durst und Hunger quälte ihn die brütende Hitze. Bis auf 50 Grad kann das Thermometer hier ansteigen. Es wundert mich nicht, dass all dies Jesus die Vision einer Begegnung mit dem Teufel beschert hat.
2011 wurde die Felsenwüste in die Liste der UNESCO Weltkulturerben aufgenommen. Vor allem wegen der mehr als 4.000 Felszeichnungen, die vom Alltag der Menschen zeugen, die vor etwa elftausend Jahren hier lebten. Und wegen eines Tempels, den die Nabatäer hier hinterlassen haben.
Die Filmindustrie ist von diesem einzigartigen Fleckchen Erde sehr angetan. Weil der Sand rot ist und surreal wirkt, wird Wadi Rum regelmäßig als der ‘Rote Planet’ besetzt. Sie drehten ‚Prometheus‘ (2012), ‚Der Marsianer‘ (2015), ‚Star Wars Rogue One‘ (2016) und den siebenfachen Oscargewinner ‚Lawrence von Arabien‘ (1962).
KAFFEE MIT KARDAMOM
Erschöpft von Hitze, Sand und Staub hocke ich auf einem bunt gemusterten Teppich im Wüstenlager von Abu Yousef. Wörtlich bedeutet sein Name „Vater von Yousef“. Männliche Beduinen nehmen, sobald sie Vater eines Sohnes werden, dessen Namen an. Und Abu Yousefs ältester Sohn heißt Yousef. Abu Yousef kniet und entzündet ein Feuer aus den Holzstöckchen, die seine Söhne für ihn gesammelt haben und setzt eine geschwärzte Kanne auf. Der Geruch von Kaffee und Kardamom erfüllt die Wüstenluft.
Kaffee ist in Jordanien nie nur eine schnelle Tasse, sondern ein heiliges Ritual. Vor allem bei den Beduinen. Kriege wurden bei einer Tasse Kaffee ausgetragen, Ehen arrangiert, Stammesbeziehungen geknüpft und gefestigt. Abu Yousef schenkt sich eine Tasse ein, um zu testen, ob der Kaffee heiß genug ist. Man sollte nicht alles auf einmal trinken können, das würde bedeuten, dass Abu Yousef sich nicht genug Mühe gegeben hat. Kalten Kaffee servieren? Eine Sünde. „Die Tasse wird mit der rechten Hand gehalten“, sagt Abu Yousef. „Die linke verwenden wir für andere Dinge, den Toilettengang zum Beispiel. Sie gilt als unrein.
Kaffee ist ein heiliges Ritual
Außerdem sollte man seinen Kaffee nicht kühl blasen. Man wirbelt ihn in der Tasse herum, bis er trinkbar ist, und trinkt ihn dann in drei Schlucken. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn du genug Kaffee intus hast und keinen mehr möchtest, schwenkst du die Tasse hin und her. Willst du noch einen Schluck? Heb‘ deine Tasse an. Aber nicht mehr als drei Mal, denn das wäre unhöflich. Und unhöflich zu sein ist nicht gut. Ehe du dich versiehst, löst du einen Stammeskrieg in Al-Mamlakah al-Oerdoennijjah al-Hasji-mijjah oder dem Haschemitischen Königreich Jordanien, wie das Land offiziell heißt, aus. Das war natürlich nur ein Scherz: Die Beduinen sind bekannt für ihre unglaubliche Gastfreundschaft.
HEISSE LUFT
Übrigens: Nicht nur Filme über den Mars wurden hier gedreht. Auch war das Wadi Rum teilweise Kriegsschauplatz der Arabischen Revolte. Die Araber kämpften im Ersten Weltkrieg für die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Ihr Kampf wurde durch die Versprechungen des britischen Geheimagenten Thomas Edward Lawrence angefacht.
Es kam jedoch nie zur erhofften Unabhängigkeit. Denn trotz des Versprechens, dem Scherifen die Herrschaft über ganz Arabien zu übergeben, teilten sich die Siegermächte Frankreich und England im geheimen Sykes-Picot-Abkommen die arabische Welt unter sich auf. Die arabischen Führer fühlten sich zu Recht verraten. Viele der heutigen Probleme im Nahen Osten wurzeln im gebrochenen Versprechen von T. E. Lawrence, der berühmt wurde als ‚Lawrence von Arabien’.
WideOyster Trip-Auswahl



BIBELGESCHICHTEN
Jordanien wurde am 1. März 1946 unabhängig. Doch die dokumentierte Geschichte des Landes reicht viel weiter zurück. Hier ein kurzer Abriss der biblischen Geschichte Jordaniens: Der Ort, an dem Jesus getauft wurde, liegt weniger als 2 Kilometer vom Jordan entfernt. Dieser Ort ist auch als “Bethanien jenseits des Jordans” bekannt. Der Legende nach wurde Jesus dort von Johannes dem Täufer getauft.
“Dann bestieg Mose den Berg Nebo von den Ebenen Moabs bis zum Gipfel des Pisgah, gegenüber von Jericho. Dort zeigte ihm der Herr das ganze Land, von Gilead bis Dan”
In Bethanien findest du auch den Tell el-Kharrar. Der heiligen Schrift zufolge stieg der Prophet Elia von diesem Hügel aus in einem Wirbelsturm in den Himmel auf – ein großes Schauspiel mit feurigen Wagen und Pferden. Am Rande des Jordantals befindet sich der Berg Nebo. Moses zeigte den Israeliten von dort das gelobte Land. Die Hauptstadt Amman wird in der Heiligen Schrift Ammon genannt, die Hauptstadt des Königreichs der Ammoniter. Auf einem Berg in dieser Stadt befindet sich noch heute eine stolze Zitadelle, die von König David erbaut worden sein soll.
EIN HABOOB BRAUT SICH ZUSAMMEN
Vor ein paar Tagen war die Intensität der Sandstürme im Wadi Rum noch unvorstellbar für mich. Jetzt bricht die Nacht über dem Beduinenlager herein. Das Lager befindet sich genau an der Stelle der möglichen Route des von Moses angeführten Auszugs der Israeliten aus Ägypten.
Das Gesicht von Hama Mohammed Nasser al-Zawaida (ich darf ihn Hamad nennen) leuchtet von den glühenden Kohlen und dem Lagerfeuer. Seine Keffiyeh ist kunstvoll um seinen Kopf drapiert. Seine schneeweiße Jalabiyyeh hebt sich vom dunklen Himmel ab. Es ist mir ein Rätsel, wie sie diese Kleidungsstücke hier so sauber halten. Jordanien ist voller Magie.
Hamad übt sein Englisch und versucht, mir etwas Arabisch beizubringen. Er weist auf das langsam verlöschende Feuer: Hariq.
Hamad schaut in den Himmel und deutet in Richtung Horizont. „Haboob“, sagt er. Ich sehe nichts, was auf einen Sandsturm hindeutet. Beduinen lesen den Himmel und den Sand. Vielleicht hat er Recht. Schweigend sitzen wir nebeneinander und schauen ins All. Es ist friedlich. Wenn man mit den Beduinen zusammen ist, spürt man das wahre Jordanien. Mit diesem Gedanken ziehe ich mir die Decke über den Kopf.