Ich will dir ein Geheimnis verraten: Jordanien ist das gelobte Land des Canyoning. So sehr, dass es für uns unverzeihlich scheint, nach Jordanien zu reisen und nicht mindestens eine dieser Schluchten zu durchqueren, um die grandiose Natur zu genießen, die uns in andere Welten entführt. Begleite uns auf dieser Reise durch einige der schönsten Wadis im Wunderland des Canyoning.Erkundung der Wüstenschluchten Jordaniens.
Jordaniens Wüstencanyons
Wadi-Wunderland


Jordanien ist ein Reiseziel, das seinen Klischees immer wieder widerspricht. Gehst du zum Beispiel davon aus, nur eine trockene Wüste vorzufinden, wirst du überrascht sein, von den atemberaubenden, wasserreichen Canyons. Überall warme Quellen, grüne Palmenhaine, feuchte Moose und Schlingpflanzen. Wasserrutschen, die du hinabgleiten und natürliche Pools, in denen du baden kannst. Eine Reise von der Wüste in die Tropen.
ADERN DER WÜSTE
Was ist ein Wadi? Das ist ein arabischer Begriff für einen trockenen Fluss oder ein Tal in Wüstengebieten, in dem normalerweise nur während der Regenzeit Wasser fließt. Er gilt aber auch für Schluchten und Gebirgsbäche. Das Tal des Toten Meeres bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Erkundung von Canyons mit tiefen Einschnitten in Berge, die zwischen 1.700 Höhenmetern und 400 m unter dem Meeresspiegel liegen.
“Mein Hobby begann, als ich noch ein Kind war. Dank der Ausflüge, auf die mich meine Mutter immer mitnahm”, sagt Bader Abdel Jawad, einer von acht zertifizierten Canyoning-Guides in Jordanien, der uns auf unserer Canyoning-Reise begleitet. Bader wurde sowohl in Schottland als auch in Jordanien bei der französischen Bergsteigerschule ausgebildet. “Der beste Monat für Canyoning in Jordanien ist der April”, erzählt er uns. “Aber in Jordanien kann man das ganze Jahr über und ohne Neoprenanzug klettern!“
Tiefe Einschnitte in Berge, die zwischen 1.700 Höhenmetern und 400 m unter dem Meeresspiegel liegen

WADI MUJIB
“Wir haben Glück, heute ist es nicht so voll”, sagt Bader zu uns. Seine Aussage überrascht mich, denn auf dem Parkplatz stehen schon ein paar Autos. “Ja, aber keine Busse.” Wir melden uns im Welcome Center an, wo wir viele Sprachen hören. “Es gibt Zeiten, in denen man bis zu zwei Stunden in der Schlange warten muss, um reinzukommen.”
Badehose, Trockensack und Wasserschuhe. Bereit für den Einsatz. Es ist an der Zeit zu checken, ob der Ruhm Wadi Mujibs gerechtfertigt ist. Wir umrunden die Eingangsmauer und… wow! Liebe auf den ersten Blick. Nachdem wir die Metalltreppe hinuntergestiegen sind, tauchen wir ins Wasser ein und gelangen allmählich in eine hohe und beeindruckende Schlucht. Du willst schon ein Selfie machen? Das Beste kommt erst noch.
“Wer hat die Felsen gemalt?” frage ich laut, während ich die künstlerische Schönheit der großen, mit bunten Streifen bemalten Steinblöcke bewundere. “Diese wechselenden Farbkombinationen sind das Ergebnis der jahrtausendelangen Einwirkung von Wasser in Kombination mit verschiedenen Mineralien”, erklärt mir Bader. “Das Gelb kommt vom Schwefel, das Rot vom Eisen, das Violett vom Magnesium…” Wie bei so vielen anderen Gelegenheiten ist die Natur der beste Künstler.
“Das ist wunderschön!” ruft Frits, der Fotograf, voller Bewunderung über die Szenerie, die sich uns an jeder Ecke bietet. Die Schlucht verengt sich immer mehr, und das Wasser fließt so stark, dass es schon auf Wadenhöhe Anstrengung kostet, gegen die Strömung zu laufen. Es ist ein Wunder der Natur, so viel Wasser in den Eingeweiden der Wüste fließen zu sehen. Dutzende von kleinen Fischen schwirren um meine Beine und zupfen abgestorbene Hautschüppchen ab. “Das ist wie ein kostenloses Peeling, es ist im Preis inbegriffen”, scherzt Bader.
Mit Hilfe von Seilen und Leitern geht es in heiklen Schritten weiter die Schlucht hinauf. Es gibt Wasserfälle, deren kräftiger Strahl frischen Wassers auf uns einschlägt und lustige Rutschen, die man hinunterrutschen kann. Überall um uns herum gibt es glückliche und staunende Gesichter. Vor einem riesigen Felsen, der zwischen zwei Wänden klemmt, warten alle darauf an die Reihe zu kommen um sich unter dem Wasserfall fotografieren zu lassen. “Ich bin diesen Canyon bestimmt schon über hundert Mal gegangen”. Verstehe, aber ich muss trotzdem nochmal betonen, wie atemberaubend und einzigartig das hier ist.
WADI BIN HAMMAD
“Wadi Al-Karak ist mein Lieblingscanyon. Er ist lang, aber er hat von jedem Canyon in Jordanien etwas vom Besten”, erklärt uns Bader unsere heutige Mission. Doch das Schicksal hat andere Pläne für uns. “Es besteht ein hohes Gewitterrisiko” sagt Bader. Höchste Zeit, sich darauf einzustellen.
“Es ist beschlossene Sache: Wir weichen aus ins Wadi Bin Hammad. Technisch anspruchsvoll, wunderschön und kann in vier Stunden bewältigt werden. So haben wir genügend Zeit, bevor der Sturm kommt”. Wir machen uns auf den Weg, und die Landschaft im Tal wird immer dramatischer, je weiter wir den steilen Abhang hinabsteigen. Einige Ziegen überqueren schnell die Straße, während uns Hirtenkinder von den trockenen Feldern grüßen, auf denen sie ihre Herden treiben.
Eine Familie stellt neben uns auf den Parkplatz. “Es ist ein perfekter Canyon, um Leute in das technische Canyoning einzuführen: Macht euch mit der Ausrüstung vertraut, versucht erste Abseilungen… Es gibt zwei Möglichkeiten: Wadi Hora, was wir machen werden, und eine andere Variante, die man zu Fuß machen kann”, erklärt uns Bader.
Wir wandern zwischen Palmen durch eine felsige und zunehmend schroffe Umgebung. Obwohl das Gelände einfach ist, muss man genau darauf achten, auf welchen Felsen man tritt. Wir haben den Canyon noch nicht einmal begonnen, und mein Hintern hat bereits die Härte des Wüstengesteins zu spüren bekommen. “Diese Wände dort oben sind der eigentliche Anfang des Canyons. Um hinabzusteigen, muss man sich sechsmal abseilen, die längste Strecke beträgt siebzig Meter. Und dann landet man hier, wo wir uns gerade befinden”, erklärt Bader. Ich bin froh, dass wir “geschummelt” haben und ein bisschen tiefer eingestiegen sind.
WideOyster Tour-Auswahl



Ein kleiner Wasserfall im Schatten, umgeben von grüner Vegetation, scheint der perfekte Ort für das Mittagessen zu sein. Wir sammeln trockenes Feuerholz, zünden das Feuer an und bereiten die Mahlzeit des Tages zu: gebratene Zwiebeln und Tomaten auf kleiner Flamme, gebratene und zerkleinerte Fava-Bohnen, dazu ein Dressing aus grünem Chili und Zitrone. Das “Foul” im Landhausstil ist fertig. Köstlich!
Wir setzen die Wanderung durch einen schmalen, gewundenen Wasserpfad fort, bis wir die Abseilstelle erreichen. Krabben weichen unseren Schritten aus, während Bader alles vorbereitet. In solchen Momenten weiß man, wie wichtig es ist, sein Leben in die Hände von professionellen Führern zu legen.
Ein paar Einheimische beobachten unsere Bewegungen: erst unbeholfen, dann flink. Jeder, der sich schon einmal abgeseilt hat, weiß, das Schlimmste ist der erste Moment, in dem das Gehirn ein deutliches Gefahrensignal sendet, wenn man dem Nichts den Rücken zuwendet. Der erste Schritt genügt, um Körper und Geist zu entspannen.
“Es ist, als wäre man auf einem anderen Planeten”, sage ich zu Bader, während wir zwischen hohen Wänden aus schwarzem Fels, grünem Moos und rotem Sand weiterwandern. Wasserschauer fallen vom Himmel und schaffen eine Atmosphäre, die wie aus einem Film wirkt. “Es ist, als würde man in Narnia eintreten”, sagt Bader. Wir bewundern das Wasser, das durch das Innere der Wüste fließt: Ein wahres Wunder der Natur.

WADI MUKHAIRES
“Ich bin immer noch auf der Suche nach neuen Canyons. Ich habe sogar schon einige entdeckt”, erzählt uns Bader stolz. Wir fahren nach Wadi Mukhaires, inmitten von Weinbergen, die auf unwirklich erscheinenden Terrassen inmitten der trockenen Umgebung stehen. Einheimische, sehen uns seltsam an, als unser Auto vorbeifährt. “In Jordanien muss es Hunderte davon geben, viele davon sind unerforscht. Ich habe allein vierzehn gezählt, die ins Tote Meer münden, aber viele Nebencanyons speisen die Hauptcanyons, und diese sind manchmal sogar noch schöner.”
Wir wandern zur ersten Abseilstelle des Tages, wo das Wasser kühler ist als in anderen Canyons. “Die Quelle in diesem Canyon befindet sich neben dem Berg Nebo, von dem aus Moses zum ersten Mal das Gelobte Land erblickte”, erzählt Bader. Warum hat er diesen Canyon für den Abschluss unserer Reise gewählt? “Abgesehen von seiner Schönheit ist er mehrfach zugänglich. Man kann sich aussuchen, wo man ein- oder aussteigt. Es gibt drei Abseilstellen: sieben, zehn und zwanzig Meter.
Wir seilen uns ohne Komplikationen an der ersten Stelle ab und genießen die Schritte ins Leere. Neben uns stürzt das Wasser in einer mächtigen Kaskade herab. Weiter geht’s zur zweiten Abseilstelle zwischen Felsen mit organischen Formen. Für ein paar Meter bahnen wir uns einen Weg durch dichte Vegetation aus Bambus und Büschen.
Der Ausflug war hervorragend. Unsere Reise geht zu Ende. “Was gefällt dir am meisten am Canyoning?” frage ich Bader. “Die zufriedenen Gesichter meiner Teilnehmer, wenn das Erlebnis zu Ende ist und sie dir sagen: ‘Ich wusste nicht, ob ich das schaffe’… und wir haben es geschafft! Das ist ein sehr schönes Gefühl. Außerdem ist es eine Tätigkeit, die mir sehr viel Aufmerksamkeit abverlangt, denn das Leben meiner Kunden liegt in meinen Händen. Darum geht es: Menschen glücklich zu machen.”
Ein Sprung ins Paradies
Königreich der Zeit
Jordanien ist ein Land für Abenteurer. Entdecke alle Möglichkeiten, das Land zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Oder die schönsten Landschaften zum Klettern oder Canyoning. Egal, welchem Stamm du angehörst, hier findest du einen Gleichgesinnten.