Klirrend kalt, dampfend heiß
Yellowstone im Winter
Einer der bekanntesten Nationalparks Amerikas platzt jeden Sommer aus seinen Fugen, wenn die Naturfans einfallen. Im Winter jedoch sieht es hier ganz anders aus. Dann muss man das Land der Geysire, der Thermalquellen und des darunter liegenden Supervulkans mit so gut wie niemandem teilen. Okay, wenn man die Bisons und Wölfe nicht mitzählt.
Obwohl es rauh klingt, meint es Ranger Leah Collins doch freundlich mit mir. Denn Wyomings nordwestlichste Ecke ist für normale Reisende im Winter unpassierbar und ich bin auf jeden hilfreichen Hinweis angewiesen. Ich bin auf dem Weg zum Yellowstone Nationalpark. Er ist Teil des Greater Yellowstone Ökosystems. Es zählt zu den wenigen noch intakten Ökosysteme der nördlichen Hemisphäre. Dazu gehören neben Yellowstone auch noch der Grand Teton Nationalpark, das National Elk Refuge und eine Handvoll geschützter Wälder. In all diesen Naturschutzgebieten können sich die Wildtiere frei bewegen und es wird viel dafür getan, dass die Natur so wenig wie möglich beeinträchtigt wird.
Die sehr kalten Teton Mountains mit ihren riesigen, Granitspitzen zählen zum außergewöhnlichsten Teil der Rocky Mountains
Um zum südlichen Eingang von Yellowstone zu gelangen, muss ich jetzt fünfzig Kilometer auf einer Piste aus Eis und Schnee zurücklegen. Ich passiere Grand Teton, einem weiteren Nationalpark. Die sehr kalten Teton Mountains mit ihren riesigen, Granitspitzen zählen zum außergewöhn-lichsten Teil der Rocky Mountains. Die Straße folgt dem Jackson Lake, einer zugefrorenen weißen Fläche, auf der ein paar Eisfischer ihrem Handwerk nachgehen. Der Weg folgt dann dem Snake River, bis er plötzlich zu Ende ist. Er hört einfach so auf. Mitten im Nirgendwo. Riesige Schneehügel machen es unmöglich, zu Fuß weiterzugehen. Mein Telefon zeigt keine Netzverbindung an. Wenn es plötzlich heftig schneien sollte, was häufig passiert, kann man erst zurück, wenn ein Schneepflug eine rettende Schneise durch die weiße Masse geschlagen hat. Das kann viele Stunden dauern, mitunter Tage. Das Ende der Welt liegt heute zwischen Moran und West Thumb. Das einzige Stück Zivilisation hier ist die Flagg Ranch. Das ist der Ort, an dem viele Ausflüge nach Yellowstone beginnen.
Snow Coach
Auf verschneiten Waldwegen
Raupen und Schneemobile
Ab hier kann ich nur noch mit einem Führer weitergehen. Hier, in einer Höhe von etwa 2.500 Metern, haben sich die Straßen in weiße Bänder verwandelt, die sich durch die Bergregionen schlängeln. Jetzt kommt man nur noch mit Schneemobil, Snow Coach – das ist ein hochgebockter Bus auf Riesenreifen – oder einem Bombardier weiter. Letztere sehen aus wie aufgeplusterte VW Käfer mit Skiern vorne und Ketten hinten. Nur wenige von ihnen sind noch im Einsatz. Es ist reine Nostalgie, die sie noch am Leben hält, denn aus praktischer Sicht ist es ein Wunder, dass diese Fahrzeuge noch in Betrieb sind. Denn wo moderne Schneefahrzeuge beheizt und mit der neuesten Technik ausgestattet sind, ist das bei den Bombardiers noch, nun, sehr rustikal. Ihr Motor bringt das Hinterteil zum Vibrieren und wer nicht aufpasst, kann sich leicht an einer der vielen nicht isolierten Flächen in dieser Karre die Finger verbrennen.
Fahrer Aaron, der uns in etwas mehr als zwei Stunden zur Old Faithful Lodge mitten in Yellowstone bringt, lacht darüber. “Es ist großartig, diese Kisten ab und zu noch zu sehen. Aber was mich betrifft: Ich bin froh, einen Bus wie diesen zu fahren.”
Bombardiers, die Zeugen der Vergangenheit. Sie sehen aus wie ein aufgeplusteter VW Käfer mit Skiern vorne und Ketten hinten
Die zwei Stunden währende Fahrt nach Old Faithful ist eine schöne erste Einführung in den Nationalpark. Meine Eindrücke werden durch viele Infos, Geschichten und Anekdoten von Aaron ergänzt. Der Yellowstone ist einer der bekanntesten Nationalparks des Landes. Es ist auch der älteste und sicher einer der geschäftigsten. “Der Yellowstone ist sogar der älteste Nationalpark der Welt. Schon 1869 gab es hier Expeditionen. Das war zu einer Zeit, in der große Teile des Westens noch kartographiert werden mussten. Als die ersten Menschen mit ihren Geschichten aus dem Yellowstone zurückkamen, glaubte man ihnen zuerst nicht. Ein Ort, an dem Dampf aus der Erde steigt, an dem farbenprächtige heißen Quellen zu sehen sind und an dem regelmäßig Wasser in die Luft geschossen wird – das konnte einfach nicht wahr sein. Oder zumindest wäre es die Hölle. Erst als ein Expeditionsteam mit Geologen, Archäologen und Wissenschaftlern dem amerikanischen Kongress berichtete und ihnen Bilder, Gemälde und Skizzen zeigte, wurde allen klar, wie einzigartig der Ort ist und dass er geschützt werden muss. So wurde 1872 der erste Nationalpark der Welt ausgerufen.
Ein Ort, an dem Dampf aus der Erde steigt, an dem farbenprächtige heiße Quellen zu sehen sind und an dem regelmäßig Wasser in die Luft geschossen wird – das konnte einfach nicht wahr sein
Sommer gegen Winter
Heute bewundern über vier Millionen Besucher pro Jahr die natürliche Schönheit des Yellowstone. Frank und Sue, zwei Mitreisende aus Wyoming, haben den Park schon öfter besucht: “Im Sommer kann es hier manchmal unerträglich sein, so viele Menschen sind dann hier. Um den Old Faithful, den bekanntesten Geysir des Parks, ist es wie am Times Square in New York. Du schaust Dir einen Ausbruch Schulter an Schulter mit anderen Besuchern an. Deshalb ist der Winter so besonders. Und deswegen haben wir auch unsere Langlaufskier dabei. Yellowstone ganz für sich alleine zu haben – das ist jetzt etwas, das ich mir kaum vorstellen könnte, wenn ich jetzt nicht hier wäre.”
Man muss aber nicht unbedingt Skilanglaufen, um hier etwas Besonderes zu erleben. Ich laufe in nur wenigen Minuten zum Besucherzentrum des Parks und gleich weiter zu einem der wohl bekanntesten Geysire der Welt. Es ist keine Menschenseele in der Nähe. Die hunderte von Bänken, die den Geysir umgeben, verraten, wie viel Besucher hier normalerweise vor Ort sind. Doch jetzt habe ich Old Faithful ganz für mich allein. Ich höre sein Wasser blubbern. Es ist, als ob eine riesiger Spaghetti-Kochtopf auf dem Herd steht. Der Geysir lebt. Er atmet, schnüffelt und schnauft. Und dann, ohne dass ich auf die Uhr geschaut habe, schießt das Wasser empor. Immer höher. Und höher. Immer lauter. Und niemand ist da, um es zu sehen, nur ich.
Upper Geysir Basin
Old Faithful ist aus gutem Grund Yellowstones berühmtester Geysir. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann auf die Tatsache, dass er alle eineinhalb Stunden über dreißigtausend Liter Wasser in die Luft schießt. Es gibt jedoch noch etwa dreißig andere Geysire nahe des Old Faithful. Sie gehören zum Upper Geyser Basin, das aus der Ferne wie eine britische Industriestadt aus dem 19. Jahrhundert aussieht: Überall Rauch und Dampf. Dicke Strähnen davon schweben über der Landschaft. Wenn ein Geysir ausbricht, geschieht dies unter großem Lärm. Wenn man aber durch den Dampf hindurch schaut, sieht man etwas ganz anderes: Bewaldete Hügel so weit das Auge reicht.
Tiere, die auf der Suche nach Wärme sind, haben ein kürzeres Leben als Wildtiere, die in den kälteren Gebieten des Parks überwintern
Nicht schwimmen!
Ein Blick auf die Regenbogenfarben im Boden und du weißt, warum du hier nicht schwimmen solltest. Der vulkanische Boden ist chemisch und lebensbedrohlich. Wer jedoch Geysire und heiße Quellen als beruhigende Naturbäder betrachtet, der bekommt von jedem Führer die Geschichte von David Allen Kirwan zu hören. Mein Guide Kat erzählt sie mir am Fountain Paint Pot, etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Old Faithful – mit einer gehörigen Portion Spektakel und Schrecken. Der größte Schlammtopf im Lower Geyser Basin ist einer der regelmäßigen Stopps bei Exkursionen durch den Park. Er ist ein kochender Hexenkessel in rot, rosa und braun, in dem sogar Eisenblasen entstehen. Kat: “Vor fast dreißig Jahren waren zwei Freunde hier, beide so um fünfunzwanzig. Sie wollten die Schlammtümpel und Geysire sehen.
Sie brachten einen Hund mit und waren so klug, ihn im Auto zu lassen. Das Tier fand jedoch einen Weg durch das offene Fenster und rannte fröhlich auf sie zu. Aus purer Begeisterung sprang der Hund dann in eine der heißen Quellen. Kirwan überlegte nicht lange. Leute, die zusahen, schrien, dass er das nicht tun sollte. Aber er tat es. Er sprang ins Wasser. Mit dem Kopf voran. In dem Moment, als er zu seinem Hund kam, wurde ihm klar, dass er einen großen Fehler gemacht hat. An manchen Stellen ist das Wasser über 90 Grad Celsius heiß. Er konnte nicht einmal seinen Hund retten. Schließlich fand sein Freund einen Weg, Kirwan aus dem Wasser zu bergen, aber es war schon zu spät. Sein Körper war zu hundert Prozent verbrannt, er starb einen Tag später im Burns Center von Salt Lake City an seinen Wunden. Sein Hund tauchte nie wieder auf. Aufgrund der Hitze und der Säuren löste er sich nach einigen Stunden vollständig auf.”
Yellowstone Bison
Tierwelt im Lamar Valley
Aufregung am Eingang der Snow Lodge. Wölfe wurden in der Nähe gesichtet. Einem Besucher zufolge liefen sie über die Holzbalustraden, die hier als Wanderwege dienen. Einfach so. “Ach, das kann jederzeit passieren”, erklärt Alice, unsere heutige Fahrerin und Reiseführerin. “Im Yellowstone leben zwischen achtzig und hundert Wölfe. Ab und zu kommt ein Rudel vorbei, und die gehen gerne mal bis zur Lodge. Sie dabei beobachten zu können, ist aber extrem selten. Das konnte ich in all den Jahren, die ich im Park arbeite, bisher nur ein einziges Mal.”
Wir sehen die Wölfe heute nicht.
Dank einer dünnen Schneedecke, auf der wir uns fortbewegen können, entdecken wir einige Kojoten, Bisons, eine Rotfuchs, vier Elche und einen Flussotter
Übernachtung und Verpflegung
In Yellowstone gibt es im Winter nur zwei Unterkunfts-möglichkeiten: die Old Faithful Snow Lodge und das Mammoth Hot Springs Hotel. Beide Hotels sind von Mitte Dezember bis Anfang März geöffnet.
Fliegen
Delta Airlines fliegt direkt von Amsterdam nach Salt Lake City. Ticketpreise unter 600 €. Es gibt näher liegende Flughäfen (wie Bozeman und Jackson), aber die Preise für Flugtickets sind deutlich höher.
Autovermietung
Miete ein Auto und fahre selber in den Norden. Der südliche Eingang des Parks ist etwa sechs Autostunden entfernt. West Yellowstone knapp 5 Stunden.
Grand Teton NP
Tipp: Kombiniere deinen Yellowstone-Besuch mit dem Grand Teton Nationalpark. Du kannst in Yellowstone auch den südlichen Eingang nutzen für eine Durchquerung. Darüber hinaus sind auch Jackson und die National Elk Refuge einen Besuch wert.